Gottes Friedensherrschaft

Gottes Friedensherrschaft hat kein Ende“

Die Nüchternheit von Weihnachten:

Nicht alle Erwartungen können erfüllt werden

 

Die Christenheit in neutestamentlicher Zeit hat Weihnachten oder besser die Geburt Jesu in Bethlehem als die Erfüllung der von Gott seinem Volk Israel gegebenen Heilsversprechen verstanden und gefeiert. Voraussetzung dafür war seine Auferstehung von den Toten. Denn dadurch wurde er für sie zum Sohn Gottes eingesetzt (Röm 1, 3). Eigentlich wuchs er – dem Fleisch nach ein Davidide – in Nazareth auf. Auch sonst ist er keineswegs als Wunderwesen, sondern als ganz normaler Mensch gesehen worden. Genau das will übrigens auch diese Geburt besagen, die wegen der Krippe, in die er nach seiner Geburt gelegt wurde, in einem Stall stattgefunden haben soll. Jesus ist nicht vom Himmel herabgefallen oder wie ein Engel eingeschwebt. Er ist wie jeder Mensch von einer Frau geboren (Gal 4,4), ein Kind seiner Zeit. In seinem Fall ist sogar noch das Schicksal der Flüchtlinge und Obdachlosen, das Fremdsein im eigenen Land, das er mit vielen teilte, spürbar. Im Verlauf seines Lebens hören wir von dem Elend der Kranken und Ausgestoßenen, die als Sünder abgestempelt waren; auch deren Schicksal ist ihm nicht gleichgültig gewesen.

Jesus ist im Gegensatz zur Geburtsgeschichte in Wirklichkeit ein „Spätberufener“ gewesen. Erst gegen Ende seines Lebens mit ca. 30 Jahren hat Gott ihn mit einer besonderen Mission betraut, indem er ihn bei seiner Taufe durch Johannes den Täufer mit heiligem Geist salbte (Mt 3). Jedenfalls trat er erst zu diesem späten Zeitpunkt seines Lebens mit seiner Botschaft von der kommenden Gottesherrschaft öffentlich in Erscheinung. In seiner Predigt in der Synagoge zu Nazareth (Lk 4) sprach er davon, durch Gottes Geist beauftragt zu sein, den Gefangenen Befreiung zu bringen, den Blinden die Fähigkeit zu sehen, Bedrückte in die Freiheit zu entlassen und ein Jahr der Gnade auszurufen. Damit nimmt Jesus zum einen auf, was schon der Prophet Jesaja (61, 1ff.) als Herrschaftsprogramm des künftigen Messias angekündigt hat, zum andern zieht er dadurch, daß er Kranke heilt, Sünden vergibt, Hungernde speist, neues Leben schenkt, die auf den künftigen Messias projizierten Hoffnungen und Erwartungen auf sich.

Im Weihnachtsevangelium verkündet der Gottesengel den Hirten auf dem Felde: „Heute ist euch der Heiland (Retter) geboren.“ (Lk 2, 11) Aber dies ist rückblickend gesagt von dem, der seinem himmlischen Vater gehorsam war bis zum Tod am Kreuz. Nun erst ist er von Anfang an der, auf den ganz Israel wartete. Für das „neue“ Israel des Glaubens, wie sich die frühe Kirche Jesu in Abgrenzung zum alten Israel des Gesetzes nannte, hat sich Jesus als lebendiges Schlachtopfer, als das Lamm, das hinwegnimmt die Sünde der Welt, Gott dargeboten und damit in letzter Radikalität Gottes zentrales Gebot, ihn im Leben und Sterben zu heiligen, erfüllt. Israel konnte dies Gebot nach Auffassung der frühen Christen nicht erfüllen, weil man sich nur äußerlich an den Wortlaut der Gesetze hielt. Und selbst dort, wo man meinte, die Gebote erfüllt zu haben, um sich vor Gott rechtfertigen zu können (Lk 18), wurde der eigentliche Sinn der Gebote oft verfehlt.

Daß Jesus der sein wird, der Israel von seinen Sünden erlösen wird, davon konnte vorher niemand etwas wissen, und hätte Joseph, der Verlobte der Maria, nicht vorab darüber durch einen Engel Gottes im Traum Kenntnis erhalten, hätte er seine Verlobung mit Maria beendet.

Die Vorstellung, Jesus sei der Messias, war unter den Juden nur mit großer Reserviertheit aufgenommen worden. Erst recht hätte zu Jesu Zeiten keiner von einer Menschwerdung des Gottessohnes im Sinne der späteren Dogmatik gesprochen, wie es zumindest durch Joh 1, 11ff. angedeutet wurde.

Der Glaube an den Messias war da (Joh 4, 25), aber dass Jesus sich selbst als diesen Messias dem gemeinen Volk gegenüber offerierte, ist äußerst unwahrscheinlich. Selbst Johannes der Täufer war sich nicht sicher gewesen, ob er der ist, auf den sie warteten. Petrus, Jesu Jünger der ersten Stunde, scheint der einzige gewesen zu sein, dem Jesus das Christusbekenntnis (Mt 16, 16) abnahm (V. 17-19). Aber wie hat Jesus ihn zurechtgewiesen, als er erkannte, dass auch dieser Jünger ihn von seinem Weg ans Kreuz abhalten wollte, weil er es nicht mit der Messiaswürde für vereinbar hielt, am Kreuz zu enden. Und weil Jesus nicht durch die landläufigen Messias-Erwartungen in eine falsche Richtung gedrängt werden wollte, darum musste diese Erkenntnis ein von allen Jüngern gehütetes Geheimnis bleiben.

Denn die Erwartungen des Volkes gingen in der Tat in eine andere Richtung. Israel sehnte sich nach Rettung. Aber es verstand diese Rettung zur Zeit Jesu, wie so oft in seiner Geschichte, nur als Rettung von seinen politischen und militärischen Feinden. War Jesus dafür der Richtige? Wollte er Israel seine Unabhängigkeit von Rom zurückgeben? War das seine Mission? Gewiß hatten die Propheten Israels zumeist an die Wiederherstellung des Königtums in Israel gedacht, wenn sie an diesen künftigen Messias dachten. Die jüdischen Gelehrten wussten, dass dieser aus Bethlehem kommen sollte (Micha 5, 1), dass er Israel „weiden“ solle, d.h. regieren und schützen. Er würde als König in Jerusalem einziehen, davon gingen sie aus. Und sie erwarteten von Jes 9,6f. her eine ewig dauernde Friedensherrschaft. Die Messiasherrschaft sollte auf Gerechtigkeit, wie Gott sie versteht und will, begründet sein. Mit Jes 2, 2ff. konnte man durchaus an einen kraftvollen Herrscher denken, wie er ja auch in Jes 9, 5 beschrieben wurde, einen Messias, der Streitbogen, Speere und Schwert zerbricht und umschmiedet. Ein Davidide in diesem Sinne also, ein ganzer Mann, der reinen Tisch macht mit äußeren und inneren Feinden und den Armen ihr Recht lässt.

Im Prinzip teilten die Jünger diese Hoffnung und selbst von dem auferstandenen Herrn versuchten sie noch zu erfahren, wann dieses Reich kommen werde, nachdem ihre Erwartung, dass es noch zu Lebzeiten Jesu kommen würde, enttäuscht wurde. Was sie jedoch nicht erkannten war, dass Jesu Mission der Feindschaft gegenüber Gott galt und nicht bloß den Feinden Israels. Und die Überwindung des Abfalls der Menschen von Gott, der Ursünde und Quelle vieler anderer Formen des Elends unter uns Menschen, verlangt kein nationales politisches Reich und schon gar nicht die Erfüllung irgendwelcher zeittypischer Großmachtträume, wie sie damals auch viele rechtschaffenen Juden in ihrer Verzweiflung hegten.

Gottlosigkeit aller Art, thorawidriges Verhalten, Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten, diese uralte mit Adams Fall unübersehbar sinnfällig gewordene Revolte gegen Gott, die will Jesus überwínden.

Nicht Duldung der Sünde, sondern ihre Vergebung als die Vorstufe ihrer Unterlassung, ist der Weg zu einem neuen Frieden unter uns. Die vielen Sündopfer, die Israel in Gestalt von Tieropfern oder Brandopfern Jahr für Jahr Gott geopfert hat, um von aller Sünde gereinigt und mit Gott wieder versöhnt zu werden, werden zum bloßen Ritual, wenn daraus keine inhaltlichen Konsequenzen für das eigene Leben in Gesellschaft und Nachbarschaft gezogen werden, auch gegenüber den Fremden, ja selbst den Feinden gegenüber.

Neuer Friede ist jedenfalls etwas anderes als die gewaltsame Erhaltung der vorhandenen Machtstrukturen oder einer unrealistischen Werteordnung. Streiks, Krawalle und andere Widerstandsaktionen der Menschen gegen die Verweigerung von Mitspracherechten, die die Herrschenden ihren Bevölkerungen vorenthalten, können Mittel sein, um diese daran zu erinnern, was ihre Aufgabe ist, und insofern Vorboten einer globalen Machtumverteilung, die ernst macht mit der Einbeziehung der Unterdrückten dieser Welt in eine gemeinsame menschenwürdige Ordnung.

Aber der nach wie vor gültige Ausgangspunkt für eine solche Neuordnung ist die Botschaft des Evangeliums, dass nur in Jesus Christus echter Friede angelegt ist. Sie fordert uns tagtäglich auf, an der Herrschaft des Messias Jesus von Nazareth mitzuwirken durch Gebet, durch Vergebung von Schuld, Aufeinanderzugehen, Ordnen der gemeinsamen gesellschaftlichen Angelegenheiten, durch Anerkennung der Rechte von Minderheiten, durch Gespräch und gegenseitigen Besuch. Anfänge dieser die ganze Menschheit umgreifenden Neuordnung im Reiche Christi, das auch die unterentwickelten Regionen dieser Welt einschließt, sind schon erkennbar. Nicht die Resignation schafft unter uns Frieden, sondern der auf echten Interessenausgleich und Verständigung ausgerichtete Überlebenswille im Hören auf Gottes Wort, wie es uns Jesus zuspricht.

 

Wolfgang Massalsky (2006)