Wolfhart Pannenberg

 

Die Sinnthematik in der Theologie Pannenbergs

als Basis für eine philosophische Theologie,

verstanden als Synthese von

Glaube und Vernunft

 

 

1. Teil: Die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft und die Sinnfrage

 

A. Glaube und Vernunft

I. Das Verhältnis von Glaube und Vernunft als Grundproblem der christlichen Theologie

Es ist das Grundproblem der christlichen Theologie seit Beginn der Neuzeit, wie das Verhältnis von Glaube und Vernunft neu geordnet werden kann, nachdem die großen Systeme der mittelalterlichen (katholischen) Scholastik seit dem 17. Jahrhundert (Descartes) aufgrund eines ganz neuen Vernunftverständnisses nicht ohne einen erheblichen Aufwand an Apologetik weitergeführt werden konnten, zumal auch auf reformatorisch-protestantischer Seite nach einer der Reformation folgenden Phase der Stagnation (Erstarrung in aristotelischer Orthodoxie) nach neuen Ansätzen für das Verhältnis von Glaube und Vernunft gesucht wurde.

1. Wie aktuell dieses Problem auch im Zusammenhang mit dem interreligiösen Dialog unserer Tage ist, zeigt die Reaktion auf die Vorlesung von Papst Benedikt XVI. vom 12. 9. 2006, gehalten in Regensburg (Ihr Titel lautete: „Glaube, Vernunft und Universität“) von Seiten des Islam.

Vielfach ist diese Rede vor allem wegen der Empörung in Erinnerung geblieben, die sie in der islamischen Welt auf sich zog, was Benedikt allerdings nicht beabsichtigt hatte. Er zitierte dort zu Beginn seiner Rede einen byzantinisch-christlichen Kaiser am Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert, der damals in einer Unterredung mit einem gebildeten Perser dem Islam vorwarf, nur mit Gewalt zu missionieren. Wie kann man von Gott sprechen, meinte er, und gleichzeitig mit Gewalt gegen Andersgläubige vorgehen? Wer auf eine ernst zu nehmende Weise von Gott sprechen will, müsse dies mit Vernunft tun.

Später nannte Papst Benedikt es ein Mißverständnis, in dieser damaligen Kritik jenes Kaisers Ende des 14. Jahrhunderts seine eigene Position zum Islam erkennen zu wollen.

1.1 Aber die Verbindung von Glaube und Vernunft (als das gemeinsame Erbe altkirchlicher und scholastischer Theologie), wie sie offenbar von Kaiser Manuel II. festgehalten und seinem muslimischen Gesprächspartner entgegengehalten wurde, ist nach Ratzinger auch heute notwendig.

Alle Kräfte, die diese Verbindung 1 schwächen, sind eine Gefahr auch für den christlichen Glauben.

Ähnlich hat sich Joseph Ratzinger schon zuvor in einem Aufsatz über die Stellung der Kirche und des Glaubens gegenüber der Vernunft zu Beginn des 3. Jahrtausends geäußert, abgedruckt in der FAZ vom 8.1.2000.

1.2 Daß es zum Ende des Mittelalters auch auf katholischer Seite Kritik an diesem Bündnis mit der aristotelischen Vernunft gab, leugnet Ratzinger nicht, aber zur eigentlichen Trennung dieser Verbindung, meint er, sei es erst durch die Reformation, durch deren „Enthellenisierung“ 2 des Glaubens, und die durch sie hervorgerufenen geistigen Entwicklungen gekommen, die der Vernunft ihre Autonomie zurückgaben, die sie im Bündnis mit der Theologie als bloße ancilla theologiae eingebüßt hatte. Dabei scheute sich Ratzinger nicht, auch die Haltung von Kant gegenüber dem Glauben zu kritisieren.

2. Auf diese Vorlesung ist Wolfgang Huber in seiner Antwort vom 30. 10. 2006 eingegangen (eingearbeitet in: Der christliche Glaube, 190ff.). Er meinte:

Die eigentliche Gefahr müsse man nicht in der Autonomie der Vernunft sehen, sondern in einer Überschätzung der Vernunft, wie sie der Wissenschaftsglaube in unserer Zeit mit sich gebracht habe.

2.1 So nimmt Huber auch Kant gegen die Kritik Ratzingers in Schutz, der diesen sogar verdächtigt hatte, die Vernunft zugunsten des Glaubens nur zu dem Zweck in die Schranken gewiesen zu haben, damit die Vernunft für immer auf dem Gebiet des Glaubens schweigen sollte, so daß sie sich bei einem (angemaßten) Urteil über Glaubensangelegenheiten und damit über Gott auf ein fremdes Terrain begeben müßte, für das sie durch Kants „Kritik der reinen Vernunft“ keine Zuständigkeit mehr besitzt.

Genau das, was für Ratzinger der definitiven Trennung von Glaube und Vernunft Vorschub leistet, ist für Huber um der Freiheit des Glaubens willen notwendig: eine Selbstbeschränkung der Vernunft gegenüber dem Glauben, nicht damit der Glaube vernunftlos bliebe (wie Ratzinger argwöhnte), sondern damit er sich nach seiner eigenen Vernunft entfalten könne.

Darin drückt sich zweifellos Hubers reformatorische Grundhaltung aus, die sich zwar in diesem Punkt nicht auf Luther berufen kann, der es einst für völlig unmöglich hielt, den Glauben der „Hure Vernunft“ ins Bett zu legen, also eine wie auch immer geartete Verbindung von Glaube und Vernunft zuzulassen. Aber wenn Huber diese Kantische Selbstbeschränkung der Vernunft zur Voraussetzung des freien reformatorischen Glaubens erhebt, dann geschieht das nicht nur im Sinne einer im Protestantismus weit verbreiteten Annahme, daß Kant dadurch Platz für die ungestörte Selbstverwirklichung des Glaubens geschaffen habe, sondern auch in Luthers Namen, der sich keine Einschränkung des Glaubens durch glaubensfeindliche Vernunftgebote gefallen lassen wollte.

2.2 Glaube darf jedenfalls nach Huber nicht automatisch als vernunftfeindlich abqualifiziert werden, auch wenn seine Vernunft die Vernunft Gottes ist, die eben nicht ohne weiteres mit den gängigen Vernunftvorstellungen als „logisch“ erkannt und anerkannt werden kann. Denn die Vernunft-Maßstäbe „dieser Welt“, so unterstellt es jedenfalls Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther, können das Handeln Gottes in Jesus von Nazareth bis hin an sein Kreuz und seine Auferstehung in der Regel leider nur als „Torheit“ beurteilen und nicht als das, was es tatsächlich sein will: nämlich göttliche „Weisheit“ (1. Kor. 1, 18). Darauf hatte übrigens schon Pannenberg in einer Wortmeldung zu Kardinal Ratzingers Äußerungen zu diesem Thema hingewiesen.

3. Diese Doppeldeutigkeit des Handelns Gottes in dieser Welt, sei es theologisch als Weisheit, sei es säkular-vernünftig als Torheit zu beurteilen, scheint ohne einen gewissen Dezisionismus nicht aufgelöst werden zu können.

3.1 Deswegen wird der Theologie in der Neuzeit oft der Vorwurf gemacht, als hätte sie eine Vernunft gepachtet, die nicht von dieser Welt ist, oder als könnten die Glaubenswahrheiten nur durch eine besondere Gnade von „oben“ erkannt werden.

Das ist aber nach ihrem Selbstverständnis, so Pannenberg in seinen Thesen in „Offenbarung als Geschichte“, nicht der Fall. Die Wahrheit des Glaubens steht auch dem Ungläubigen offen. „Wer Augen hat zu sehen, der sehe“, heißt es schon in der Bibel.

Das Gegenteil sei vielmehr richtig: Das Leben Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz zeigt uns paradigmatisch, wie Gott uns haben will, wie wir Gemeinschaft mit diesem Gott in Jesus halten können, ohne unsere Vernunft zu verbiegen. Es genügt vielmehr, sie zu gebrauchen.

Wahr ist allerdings, daß viele Menschen so sehr in ihren Vor-Urteilen gegenüber allem Religiösen festgefahren sind, daß es nach Pannenberg in vielen Fällen einer besonderen Erleuchtung bedarf, sich den wirklichen Veränderungen unseres Weltbildes oder gar des Gottesbildes zu öffnen.

3.2 Während Theologen also aus unterschiedlichen Gründen an der Verbindung von Glaube und Vernunft interessiert sind, fragen Religionskritiker, ob der Glaube überhaupt zur Vernunft gehört. Ist er nicht viel eher als vernunftfeindlich einzustufen? Oder bildet er sich vielleicht sogar ein, eine Alternative zur Vernunft zu sein, zumal man mit der Vernunft in Grenzfragen oft zu keiner Entscheidung kommt, weil alles möglich ist...?

Die Lösung dieser Problematik gehört zu den vordringlichen Aufgaben, die sich der heutigen Christenheit stellen. Jedenfalls ist zwischen Christentum auf der einen, Judentum und Islam, aber auch der neuzeitlichen Philosophie auf der anderen Seite die jeweilige Form des Gottesglaubens nach wie vor strittig, – sofern es überhaupt Gründe gibt, an Gott zu glauben.

3.3 Daß der eine Gott, an den alle monotheistischen Religionen glauben (sogar einzelne Philosophen halten den abstrakten Monotheismus für widerspruchslos durchführbar), in Jesus Christus Mensch geworden ist, das (und noch mehr der daraus resultierende trinitarische Gottesbegriff) leuchtet dem „natürlichen“ Verstand nicht ein, weil doch Gott immer der Welt gegenüber stehe und als der allmächtige, über allem stehende Gott gar nicht in diese Welt eingehen und in etwas so Unwichtigem und Vergänglichem wie dem Menschen auf keinen Fall sein ganzes Dasein investieren könne ...

3.4 Wie das Verhältnis von Glaube und Vernunft genauer darzulegen wäre, das kann man allerdings bei Huber nicht erkennen (das weiß übrigens auch Ratzinger nicht wirklich zu sagen). 3 Huber versichert uns aber, daß der (christliche) Glaube zumindest nicht gegen die Vernunft stehen müsse.

Die biblische Vernunft ist natürlich eine andere als unsere von Forschung und Technik geprägte. Ihre Vernunft kann man nicht nur im Nachgehen des von ihr aufgebauten Geschichtsbogens, der von Verheißung zu Erfüllung (und darüber hinaus) reicht, entdecken, sondern auch in der Art und Weise, wie sie mit ihren eigenen Überlieferungen umgeht, die sie in unerwarteten Situationen gerade nicht apologetisch, sondern ganz neu zu interpretieren versteht. Nur dann wenn man jedes Wort der Bibel im biblizistischen Sinne für wahr und vom Geist Gottes inspiriert hält, kann man sie nicht mehr vernünftig verstehen und interpretieren.

3.5 Richtig ist, daß wir, wenn wir der Bibel gerecht werden wollen, die in ihr liegende Vernunft nicht eliminieren oder auf allgemeinmenschliche Strukturen reduzieren dürfen, wie das durch das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns geschehen ist, sondern kritisch auf unsere Vernunft und d.h. auf unser Verständnis von Gott, Mensch und Welt beziehen müssen.

Die Bibel fordert jedenfalls, wenn man sie ernst nehmen will, gegenüber dem reinen Rationalismus unserer Tage, der im allgemeinen auf Gott zumindest theoretisch meint verzichten zu können, eine Erweiterung (Transzendentalisierung) unserer Vernunft 4.

Das ist wahrscheinlich die eigentliche Herausforderung, vor der die philosophische Theologie in unserer Zeit steht: sowohl eine vernunftgemäße Rede von Gott zu entwickeln, als auch im Verständnis der Wirklichkeit selbst nach Ansatzpunkten zu suchen, wie die Rede von Gott in ihr wieder einen legitimen Platz finden kann. Dazu müssen auch die Möglichkeiten der Vernunft unverkrampft durchleuchtet werden.

 

II. Pannenbergs fundamentaltheologisches Konzept

1. Wenn man die Veröffentlichungen von Pannenberg genauer betrachtet, dann hat er diese Herausforderung schon sehr früh und sehr deutlich erkannt und mit seiner philosophisch-theologischen Konzeption („Offenbarung als Geschichte“, „Grundzüge der Christologie“, „Wissenschaftstheorie und Theologie“ sowie „Anthropologie in theologischer Perspektive“) in umfassender Weise nach einer geeigneten Gegenstrategie gesucht, um die zerbrochene Synthese von Glaube und Vernunft auf einer höheren Reflexionsstufe zu erneuern.

Wesentlich für sein fundamentaltheologisches Konzept sind aus meiner Sicht folgende Aspekte (Thesen):

 

1.1 Wegen der Strittigkeit Gottes (im Meinungsstreit zwischen Theisten und Atheisten) kann Gott nur als Problembegriff verstanden werden.

Das bedeutet, in letzter Hinsicht kann theologisches Reden von Gott nur hypothetisches („indirektes“), nicht dogmatisches Reden sein. Gerade wenn man von Gott auch theoretisch (mit Falsifikationsmöglichkeiten) und nicht nur „assertorisch“ sprechen will, muß man diese Option wählen. Aber gerade so ist auch dem assertorischen Reden von Gott am meisten gedient (Siehe Vorwort zur TB-Ausgabe von Wissenschaftstheorie und Theologie von 1987).

1.2 Im Zusammenhang damit wendet er sich auch gegen jede theologische Immunisierung gegen Kritik. Stattdessen spricht sich Pannenberg für eine "Entpositivierung" der Tradition aus, womit er nicht nur gegen ein bestimmtes Verständnis der Wort-Gottes-Theologie, wonach das Hören auf Gottes Wort nur als Akt des Gehorsams recht geschieht, sondern auch gegen Gadamers relativ autoritäres Traditionsverständnis argumentiert.

1.3 Die Rede von Gott ist zwar als religiöse Rede traditionsgebundene Rede, aber diese kann nicht unkritisch auf Autorität hin übernommen werden, sondern muß im Rahmen historisch-kritischer Analyse als (innerster) Kern eines weltanschaulichen Paradigmas auf seine Tragfähigkeit für das gegenwärtige Daseinsverständnis hin ständig neu überprüft und durch Interpretation mit dem gegenwärtigen Denken zusammengeschlossen werden.

1.4 Von besonderer Bedeutung als Basis für eine philosophische Theologie sind die Überlegungen Pannenbergs inbezug auf Sinn 5 (und Sinnlosigkeit) als Ergebnis konkreter, auf Kontexte bezogener Sinnerfahrung, deren letzter Horizont die Sinntotalität ist.

 

Zwar handelt es sich bei Sinntotalität nicht um einen philosophisch-neutralen Gottesbegriff. Doch muß es nach Pannenberg zwischen beiden Begriffen eine Korrelation geben, die jedoch erst eintritt, wenn der Gottesbegriff gewonnen ist.

Sinntotalität hat es jedenfalls mit einer Ganzheit zu tun, die nicht nur regulativ oder heuristisch, sondern ontologisch verstanden werden müsse: ein Ganzes von Teilen, das mehr ist als die bloße Summe derselben.

1.5 Das Ganze ist logisch nur durch subjektive Antizipationen 6 („Vorgriffe“) zugänglich, die in einen überprüfbaren (falsifizierbaren) Entwurf umgesetzt werden müssen.

1.6 Gegen Hegel fordert Pannenberg die Aufhebung des Begriffs in den „Vorbegriff“ 7, als der Inbegriff einer immer nur vorläufigen Erkenntnis.

1.7 Zentral ist für Pannenberg der Wahrheitsbegriff, der bereits in jeder Behauptung vorausgesetzt werden muß.

Gegenüber den alternativen Modellen des heutigen Wahrheitsverständnisses insistiert Pannenberg auf dem Korrespondenzbegriff von Wahrheit im Gegensatz zu bloß konsensueller Wahrheit (Habermas), damit der Sachbezug als entscheidendes Kriterium für Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung bzw. Darstellung nicht verloren geht. Das ändert aber nichts daran, daß auch die Wahrheit antizipatorische Struktur hat.

1.8 Geschichtliche Erkenntnis versteht Pannenberg als grundlegend für alles Erkennen; sie impliziert immer die Aufdeckung eines ontologischen Tatbestandes. Sie wirft ihr Licht auf bereits Geschehenes zurück und auf Künftiges voraus. Darum kann der Historiker nie nur eine Perspektive in einer Richtung einnehmen. Selbst wenn er der Vergangenheit zugewandt ist, kann er sie doch erst wirklich erkennen von einer bestimmten Sicht auf die in ihr sich bereits ankündigende Zukunft.

1.9 Von diesem Ansatz her gilt es nach Pannenberg die vielfältige Perspektivik des Daseins immer wieder neu in eine einheitliche, kohärente Schau der Dinge zu bringen, wobei verschiedene wissenschaftliche Integrationsbemühungen um ein angemessenes Verständnis des Daseins interdisziplinär zusammengeführt werden müssen.

2. Darüber hinaus stellt Pannenberg für die christliche Theologie ein weiteres Postulat auf:

2.1 Die Gesetze der Naturwissenschaft können nicht alles Denken bestimmen, weil die Kontingenz 8 auch des Geschehens in der Natur (im Zusammenhang mit der Unumkehrbarkeit der Zeit) ein Prae gegenüber allen Versuchen besitze, es in Gesetzesform darzustellen, wie es naturwissenschaftlich allein von Relevanz ist.

2.2 Und nur dann kann die Naturwissenschaft der Vorstellung von einem Schöpfer, der diese Welt geschaffen hat, auch nicht länger im Weg stehen.

Denn wenn alles Geschehen von Gott hervorgebracht ist, einschließlich der Gesetze, nach denen es eingerichtet ist, dann sind auch die Naturwissenschaften, als Gesetzeswissenschaften genommen, auf etwas bezogen, von dem sie für ihre Zwecke zwar abstrahieren müssen, das sie aber nicht gänzlich ignorieren oder bestreiten können: den Faktor Zufall, sowohl was die Beschaffenheit der Welt angeht, als auch in der Erforschung der Welt und des Daseins selber. Und nur so ist auch Freiheit möglich und ein alles bis ins einzelne festlegender Determinismus abgewendet.

Die Welt ist insofern als Gottes Schöpfung das Wunder schlechthin. Darum ist alles, was in ihr geschieht, ein mehr oder weniger großes Wunder, weil es im letzten unableitbar ist.

 

B. Die Sinnthematik in Theologie und Philosophie

Aus der Fülle von Ansatzpunkten, die in der Theologie Pannenbergs für eine philosophische Theologie bereitliegen, soll hier nur die Sinnthematik 9 herausgegriffen und vertieft werden. Zuvor aber soll gezeigt werden, wie unterschiedlich in Theologie und Philosophie die Sinnfrage aufgefaßt wird.

I. Der Paradigmenwechsel in der Theologie durch die Sinnfrage (anhand ausgewählter Beispiele)

Seitdem die Gottesbeweise als unbestrittene Grundlage einer begründeten Gottesrede ausgedient haben – abgesehen vom ontologischen Gottesbeweis – , ist in der Geschichte von Theologie und Philosophie die Sinnfrage 10 in den Vordergrund getreten. Wenn heute von Gott die Rede sein soll, dann nur im Hinblick darauf, ob und wie der Mensch in seiner Frage nach sich selbst auf die Gottesthematik stößt oder ob er gar auf sie angewiesen ist, um sich selbst angemessen verstehen zu können. Demgegenüber ist die andere Frage, ob auch das Naturgeschehen einen Bezug zur Gottesthematik hat, von Seiten der Naturphilosophie und erst recht schöpfungstheologisch sehr viel schwerer zu beantworten, 1., weil die astrophysikalischen Theorien über die Weltentstehung meistens hyperspekulativ sind, zumal die astronomischen Beobachtungen bisher kein klares Bild der Entwicklung des Universums ergeben haben und 2., weil die Schöpfungstheologie nicht in Konkurrenz zur Naturwissenschaft treten will. Die sog. Urknall-Theorie hat sich bisher noch am ehesten für eine schöpfungstheologische Interpretation angeboten.

1. Nach Tillich (vgl. Nichtkirchliche Religionen, Vortrag von 1928, in: GW 5 Die Frage nach dem Unbedingten, S. 22) war die Keimzelle der modernen Sinnfrage bereits in den verschiedenen Ausgangsfragen christlicher Soteriologie enthalten, bis der Zusammenbruch der mittelalterlichen Synthese von Christentum und Welterfahrung zu neuen Antworten auf die damalige Sinnkrise drängte. Angesichts der vielfältigen Erfahrungen von heidnischem Götzendienst (Polytheismus), irdischer Vergänglichkeit und den Verstrickungen in sündiger Menschennatur und Schuld, wurde die christliche Missionsbotschaft seit dem Urchristentum von den führenden Theologen ihrer Zeit als die Generalantwort auf alle wichtigen Menschheitsfragen vorgetragen. Solche Antworten waren:

a) daß es keine „Erlösung“ aus diesem todverfallenen Leben an dem in Christus offenbaren Gott vorbei gibt;

b) athanasia (Unsterblichkeit) als die Bestimmung des Menschen (durch „Vergottung“ der menschlichen Natur)

c) das Schema der Überordnung von Gnade über Natur (gratia perficit naturam)

d) der „gnädige“ Gott (reformatorische Rechtfertigungsthematik)

1.1 Problematisch wäre diese Deutung religiöser Fragen als Sinnfragen nur, wenn Tillich der Meinung wäre, die „moderne“ Sinnfrage hätte die Vorstellungen von Lebensbewahrung, die vom christlichen Glauben aus im Hinblick auf die Unwägbarkeiten unseres irdischen Lebens (normativ für den christlichen Raum) entwickelt worden sind, inzwischen vollständig ersetzt. Denn ebenso wie im Nihilismus Nietzsches melden sich auch im Säkularismus unserer Zeit Sinnbedürfnisse, die anscheinend nur religiös (bzw. „übermenschlich“) zu verwirklichen sind (wie Bücher unter dem Titel „Wiederkehr der Religion?“, 1984, „Rückkehr der Religion“, 2010 oder „Rückkehr der Götter“, 2004, anzeigen). Offenbar kann die abstrakt klingende Sinnfrage der Moderne (und der Postmoderne) nicht rein logisch oder existenziell durch einen Akt praktischer Sinngebung erledigt werden, sofern sie nach einem in der Tiefe unseres Lebens verborgenen Sinn fragt. Vielleicht muß sogar behauptet werden: Selbst wenn die Sinnfrage die Gottesfrage abgelöst hätte, bliebe sie so lange ohne wirkliche Antwort, wie die darin verborgene Gottesfrage nicht herausgehört wird, und sei es als ein Defizit 11.

In seiner Religionsphilosophie von 1925, TB 1962, analysiert Tillich das Sinnbewußtsein. Dabei kommt er zu dem Schluß, daß „(in jedem Sinnakt) die Voraussetzung einer unbedingten Sinnhaftigkeit lebendig“ ist (42). Und diese „Unbedingtheit des Sinnes“ ist selbst nicht wieder bloßer Sinn, der ja auch wieder untergehen könnte, sondern „der Sinngrund“ (ib). Dieser unbedingte Sinngrund verleiht den einzelnen, in sich wandelbaren und vergänglichen „Sinnformen“ erst ihren definitiven „Sinngehalt“ (43). Letztlich geht es Tillich darum, zu zeigen, daß nur dieser unbedingte Sinn verhindern kann, daß „aller Sinn im Sinnlosen“ (ib) versinkt, indem der unendlich schöpferische Sinn des Sinngrunds sich den einzelnen Sinnformen mitteilt bzw. diese an ihm partizipieren.

2. Für Bultmanns existentialtheologischen Ansatz (vgl. Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? In: Theol Bl IV, 1925, 129-135) ist die Antwort auf die Sinnfrage nur in Gott zu finden, wenn man die Sinnfrage richtig stellt. Sinn gewährt dem Einzelnen nicht ein weltanschauliches Konzept, das auf alle seine Lebensfragen die passenden Antworten hat bzw. liefert und das ihm gestattet, der Welt als Fragender und Suchender gegenüber zu treten, sondern nur der „lebendige“ Gott selbst, wenn dieser durch sein Wort dem Menschen begegnet und ihn in der Tiefe „betroffen“ macht, so daß er erkennt, wer er vor Gott ist: ein Sünder, der auf Gottes Vergebung und Liebe angewiesen ist, um als Mensch existieren zu können.

3. Barths ganze Theologie kann ebenfalls als Antwort auf jene Sinnfrage gelesen werden (so gibt es bei ihm auch das Frage-und-Antwort-Schema im Verhältnis des Menschen zu Gott), indem er zeigt, daß der Mensch nicht aus sich selbst heraus, durch cartesianische „Selbstgewißheit“, sinnvoll leben kann, sondern nur aus der Kraft einer „Gottesgewißheit“, die von Gott selbst ausgehen und den Einzelnen mit ihm zusammenschließen müsse, wenn sein Leben vor Gott (und dem Nächsten) Bestand haben solle. Dabei muß jene Kraft als eine Gabe des Glaubens an den Christus Gottes verstanden werden, die dem Gläubigen durch die Taufe geschenkt wird.

(Zu Barths Umkehrung der Begründung des Gottesbewußtseins auf das Ichbewußtsein bei Descartes vgl. Barth, Christliche Dogmatik, 1927, S. 108, bei Pannenberg GsystTh II, S. 103)

4. Sehr oft wird die quälende Sinnfrage dezisionistisch 12 durch eine Art sacrificium intellectus gelöst, nämlich durch die Unterwerfung unter die Gebote der Glaubensgemeinschaft, der man angehört oder angehören will. Der erlösende Sprung in den Glauben (S. Kierkegaard) schenkt dem Glaubenden als Einzelnem (!) nicht nur eine neue Identität und Gewißheit, sondern auch neue Lebensmöglichkeiten sowohl im Rahmen dieser Gemeinschaft, als auch gegen (!) sie, und natürlich erst recht im Widerstand gegenüber der Welt, die ihre Säkularität als eine Art bürgerlicher Religion praktiziert. Die Besiegelung der Bekehrung durch den Akt der Taufe (oder einen ähnlichen Initiationsvorgang) ist darum kein ausreichendes Unterpfand mehr für ein selbstverantwortliches Leben im Glauben. Vielmehr kommt es verstärkt auf eine bewußte Entscheidung des Individuums zu einer neuen geistigen Existenz an, wenn nötig auch gegen die eigene Kirche als eine bürgerliche Institution unter vielen.

II. Die Sinnthematik in der Philosophie (an ausgewählten Beispiele aufgezeigt)

1. Heidegger

H. hat in „Sein und Zeit“ das Vorlaufen auf den eigenen Tod als Grundthema des menschlichen Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens beurteilt, dessen Hauptkategorie die Sorge um sich selbst sei. In der Perspektive des künftigen Todes ist das Sinnverstehen sekundär, denn alles Sinnverstehen läuft auf das eine Grundgeschehen hinaus: Wie verhalte ich mich in dieser Welt und zu dieser Welt angesichts der immer bestehenden Möglichkeit des eigenen Todes? Die Gefahr dieses Ansatzes ist nicht nur das ängstliche Fixiertsein auf die eigene Endlichkeit, um die alle Gedanken kreisen, sondern auch das andere Extrem ist möglich: die Überbewertung des Todes als Schlußakt des eigenen, selbstbestimmten Lebens, sogar seine Glorifizierung als Heldentod oder als Opfer für andere. Aber entspricht solches Verhalten des Menschen zu sich selbst und seiner Welt überhaupt den tatsächlichen anthropologischen Gegebenbeiten? Und blickt der Mensch nicht faktisch in seinem Leben immer über seinen bevorstehenden Tod hinaus, freilich ohne ihn ganz aus dem Blick zu verlieren?

1.1 Während bei Heidegger die Sinnfrage zugunsten der Seinsfrage zurückgestellt oder vielmehr als in dieser als der (für Heidegger) fundamentaleren Grundfrage des Daseins bereits enthalten bzw. aufgehoben beurteilt wird, fühlten sich andere Autoren wie z. B. Camus vom drohenden Nihilismus zu einer typisch französischen (cartesianischen) Antwort herausgefordert.

2. Camus

C. überwindet in seiner Sisyphos-Darstellung die nihilistische Sinnkrise weniger durch eine prometheische Kraftanstrengung als vielmehr durch einen intellektuellen Gegenschlag. Sollte das Ganze um uns herum sich auch als eine einzige große Absurdität erweisen, so weiß doch jeder durch Reflexion auf sich selbst, daß auch der radikalste Zweifel am Sinn der bestehenden Welt vor dem eigenen Ich Halt machen muß. Der cartesianische Bewußtseins-Kosmos besteht zwar nicht aus ewig feststehenden Wahrheiten wie der platonische. Aber seine Wahrheiten sind insofern noch in einem höheren Maße wahr, als sie zuvor die Prüfung durch den kritischen Verstand des Menschen passiert haben. Und nur das, was nach dem eigenen (individuellen) Maßstab des Wahren und Verläßlichen den Praxistest bestanden und danach das Gütesiegel des Wahren erhalten hat, kann jetzt als wahr deklariert werden.

2.1 Übertragen auf die Situation des Nihilismus, gegen den Camus in seinem Sisyphos Stellung bezieht, bedeutet das: Der Mensch kann zwar an der Absurdität seines Daseins nichts ändern, aber er kann der Sinnlosigkeit dieser Welt die kritischen Prinzipien einer sinnvolle(re)n Welt entgegensetzen, um an dieser Absurdität nicht zugrunde zu gehen.

Die Konstruktion eines vom Menschen erschaffenen und insofern schöpferischen Mikrokosmos anhand von ihm selbst gemachter Gesetze tritt damit an die Stelle einer bloß hingenommenen, im Ganzen sinnlosen, weil gott-losen Welt.

2.2 Damit ist zugleich die Gesellschaft als eine aus eigenem Vermögen existierende Welt „geboren“. Aus den gesellschaftlichen Problemen ergeben sich nun alle wesentlichen existenziellen Sinnanfragen der Zeit. Im Prinzip müssen sie deshalb auch lösbar sein.

Jedenfalls ist es die Aufgabe der von der Gesellschaft hierfür ausdifferenzierten oder in ihr fortbestehenden „Reparaturbetriebe“, wie z. B. psychologische Praxen (neuerdings auch philosophische Salons) bzw. Kirchen, in Krisensituationen, in denen vermehrt die Sinnfrage gestellt wird, geeignete „Rezepte“ dafür anzubieten, wie man trotz aller Schwierigkeiten mit seinem Leben zurecht kommen kann.

2.3 An den Rändern (Grenzen) des gesellschaftlich noch Integrierbaren tauchen freilich immer wieder auch spezielle ethische oder religiös-metaphysische Problemstellungen und Konflikte auf, die in den Alltagsdiskursen (z. B. der Zeitungen) nicht ausdiskutiert werden können und daher in der Regel auf einer mehr theoretischen Ebene (sei es der Theologie, sei es der Philosophie) weiterbearbeitet werden müssen.

2.4 Die für das Funktionieren des Zusammenlebens ausgearbeiteten Sinnangebote gesellschaftlicher Institutionen können ja nicht in jedem Fall alle existenziellen Probleme des Einzelnen lösen. So bleibt immer ein Rest an Ungelöstem, mit dem der Einzelne sich mehr oder weniger alleine herumschlagen muß, wenn er nicht durch sein Leiden an der Gesellschaft (Vereinsamung) oder an sich selbst seelisch krank werden soll. Als solche Einzelfallhilfen sind religiöse und theologische Sinnangebote offenbar immer noch sehr willkommen, wobei allerdings zu den christlichen Lebenshilfen in den westlichen Gesellschaften vielfältige Esoterica gekommen sind.

3. Weischedel 13

W. hat in verschiedenen Schriften immer wieder deutlich zu machen versucht, daß nichts vor der kritischen Infragestellung, ja Fraglichmachung bestehen könne und daß das einzige, was dieser Fraglichkeit von allem, was ist, entgeht, nur Gott selber sein könne, wenn man überhaupt noch in diesem Zusammenhang von Gott sprechen könne. Denn warum soll nicht auch er der Fraglichkeit von allem was ist verfallen? Einzig der Gott, der als das Vonwoher der Fraglichkeit inthronisiert und verstanden werden könne, sei als der Fels zu denken, der nicht vom Sog des eigenen Fraglichmachens verschlungen werden könne. Man kann dieser Konzeption nicht eine gewisse Logik absprechen. Aber was für ein Gott soll das sein? Ist er das Vergängliche selbst? Also kein Gott der Offenbarung oder der Anrede an den Menschen, wie in den Religionen, sondern ein Gott, der alles fraglich macht! Haften ihm somit nicht sogar die Züge eines Dämons an? Er ist jedenfalls ein strenger, prüfender Gott! Ob er jemals etwas finden wird, was vor ihm Bestand hat?

4. Kambartel 14

Für F. Kambartel ist das Leben als ganzes betrachtet die eigentlich religiöse Tat. Religion heißt für ihn primär, sich nichts Falsches unter dem Leben vorzustellen, dh. sich nichts vormachen zu lassen, was es nicht selber ist, und so das Leben anzunehmen und bewußt zu gestalten, wobei die Höhen und Tiefen des Lebens ihren angemessenen Platz in ihm finden können und nicht verdrängt werden müssen.

Das bedeutet:

1. Es gibt nichts, was wir Menschen außerhalb des Lebens selbst zu erwarten hätten. Das Leben des einzelnen ist das Ganze. Mehr gibt es nicht.

2. Wer dieses Leben nicht als das eigentliche Mysterium wertschätzen gelernt hat, sondern „dahinter“ oder „darunter“ nach einem tieferen Sinn sucht, hat sowohl das Leben als auch die Religion mißverstanden.

3. Religion deckt lediglich den im Leben selbst liegenden unbedingten Sinn auf.

4. Das Leben bedarf darüber hinaus keiner weiteren Erklärungen.

5. Vermutungen über den Sinn des Lebens zu äußern in Form religiöser Sätze z. B. über ein Jenseits verfehlen nicht nur den eigentlichen Sinn des Lebens, sondern auch den der religiösen Sprache.

6. Leben im religiösen Sinne kann nicht bloß „hypothetisch“ durch Sätze dargestellt werden werden. D.h. es läßt sich nicht in Sätzen beschreiben, die zusätzlich der „Bestätigung“ bedürfen, um wahr zu sein, weil jeder religiöse Satz bereits die Bestätigung seines einmaligen Sinns ist.

7. Deswegen trägt auch die Diskussion 15 zwischen Naturwissenschaft und Theologie auf der Sprachebene der Hypothese gar nichts zum besseren Verständnis von Religion und Glaube und erst recht nichts zum Verständnis der Natur bei.

 

Kambartels Sicht ist relativ klar: „Die religiösen Formeln und Sätze vergegenwärtigen das richtig verstandene Leben selbst.“ (100) Und etwas anderes ist Religion in seinen Augen nicht.

Das Problem ist nur, wie zu erkennen ist, was das richtig verstandene Leben ausmacht und wie es sich von falsch verstandenem Leben unterscheidet. Genau dafür hat das christliche Glaubensdenken nach geeigneten (dogmatisch formulierten) Kriterien gesucht. Sie sollen nämlich aufzeigen, was sowohl an seinen Rändern als auch in seiner Mitte das Leben sinnvoll macht, wenn es denn ein „vor Gott“ und aus der „Hand Gottes“ dankbar empfangenes und gelebtes Leben sein soll. Kambartel tendiert dazu, diese Bestimmungen, die das Leben s. M. n. an außerhalb seiner selbst liegende Mächte veräußern, als Bestandteile einer überholten Dogmatik bzw. eines irregeführten Glaubens zu eliminieren, um so das philosophisch in sich reflektierte Leben als das eigentliche Thema der Religion darzustellen. Solange der Philosoph die Angemessenheit der theologisch-ethischen Kriterien für das richtige Leben nicht als sinnvoll und sachgemäß einsehen kann, muß dann wohl dem Theologen das Recht zur Mitsprache versagt werden (entgegen seinen Bedingungen über die Diskursteilnahme S. 32). Man muß daher befürchten, daß er sowohl die Religion als auch das praktische Leben an die Reflexionskunst der Philosophie als der letzten Entscheidungsinstanz über gelingendes oder nicht gelingendes Leben veräußert, womit doch nichts gewonnen ist. Wird da nicht die eine Dogmatik gegen die andere ausgetauscht? Streng genommen müßte er auch auf die Rede von Gott verzichten. Wenn er das Wort Gott dennoch beibehält, dann in dem Sinne, daß „Gott“ nichts anderes als das Ja zum richtigen Leben in Abgrenzung vom falschen ist, eine Anerkennung der in ihm enthaltenen Möglichkeiten, deren Verwirklichung aber meine Aufgabe (Handeln) ist. Gott ist damit zu einer Kategorie der „Zensur“ geworden, die ich mir selbst in Form von Zufriedenheit mit meinem bisherigen Leben und dem von mir Erreichten und Geleisteten oder in Form einer Einstimmung in die Grundgegebenheiten des bislang bestandenen Lebens geben kann. Wird nun nicht das Leben selbst, trotz aller erklärten Säkularität, sogar als eine Art Kult zelebriert werden, wegen des ihm zugesprochenen religiösen Potentials?

5. Stekeler-Weithofer 16

1. Stekeler-Weithofers Behandlung der Sinnfrage zeigt, daß er einen genuin philosophischen Zugang zur Sinnfrage sucht jenseits theologischer Sinnfragen. Er nennt die Frage nach dem Sinn schlicht „die Frage der Philosophie“, so als ob die Philosophie allein zuständig für sie sei.

Aber schon in den ersten Sätzen macht er deutlich, daß er Sinn in erster Linie als Sinn von „Sprechhandlungen“ (kursiv von mir) versteht und eine andere Zugangsweise zur Sinnfrage gar nicht in Erwägung ziehen will 17.

Wer Sinn von vornherein auf Handlungssinn welcher Art auch immer einschränkt und alle anderen Formen von Sinnermöglichung, Sinngewinnung oder Sinngewährung aus dem Begriff „Sinn“ ausschließt, kann nicht wirklich beanspruchen, den Sinnbegriff in vollem Umfang erfasst zu haben.

2. Zwar kann es ja sein, daß die philosophische Rede von Sinn eben diese Eingrenzung notwendig macht, so daß gegenüber einem ins Uferlose gehenden Sinnbegriff das philosophische Konstatieren von Sinn nur dort sinnvoll möglich ist, wo bereits mit einem bestimmten Sinn gerechnet werden kann, wie das bei Produktionen menschlichen Nachdenkens und menschlicher Phantasie zu erwarten ist.

Aber erschöpft sich unser menschliches Sinngewahren und Sinnerspüren auf das vom Menschen in Wort und Tat Hervorgebrachte?

Und wie steht es dann um das Ganze in seiner Totalität oder auch nur um das Ganze des eigenen Lebens?

3. Welches Ganze meint Stekeler-Weithofer denn überhaupt, wenn das „Ganze“ nicht in der Hand des Menschen liegt? Dehnt er den Sinnbegriff nicht damit stillschweigend eben doch über das Machbare hinaus auf Bereiche des „Seins“ aus, die ihm eigentlich als nicht in seiner Macht stehend entzogen bleiben müßten, und überschreitet er dadurch nicht seine philosophische Kompetenz, wenn er meint, darüber Aussagen machen zu können?

Ein nicht am Empirisch-Immanenten klebender Sinnbegriff – nein, auch er! – bedarf, wenn von Sinn gesprochen werden soll, einer Sinnbasis, die über das Empirisch-Immanente hinausgeht, also einer transzendent(al)en Sinnausweitung, damit das, was der Philosoph in seinen Aussagen und Prognosen mit aller Vorläufigkeit als sinnvoll beschreiben und ausgeben möchte, nicht in Wirklichkeit bloß eine leere Behauptung ist.

4. Diese symbolsprachliche Sinnausweitung leistet in klassischer Form nur die Religion, sofern sie als Basis einer für alle verständlichen Sprache genommen wird, was jedoch in unserer Zeit selbst innerhalb eines gemeinsamen Sprachraums wohl nur noch in Theokratien mit ihren Sprachregelungen der Fall sein dürfte. Diese für alle verbindliche Sprache kann heute aber auch von der Philosophie nicht mehr bereitgestellt werden oder nur um den Preis einer Wirklichkeitsverkürzung, die das Wirkliche auf das Theoretische und empirisch Aussagbare reduziert, was eigentlich auch von Stekeler-Weithofer so nicht gewollt sein kann, obwohl er den Sinnbegriff zunächst nur für genau umrissene Handlungsfelder verwendet, wie z. B. Mathematik und Straf-Recht, wo die Sinnfrage durch genaue Definitionen geregelt wird. Erst danach wendet er sich der Frage nach dem Ganzen zu.

5. Worauf zielen seine um Präzision bemühten, wenn auch fragmentarischen Sinnanalysen, was ergibt sich nach ihm als Antwort auf die philosophische Frage nach dem Sinn? Er selbst antwortet, daß es nicht primär um die Sinnfragen als solche geht, also um den Sinn-Gehalt dessen, wonach die Sinnfrage fragt, sondern es geht primär um den „Sinn der Frage“ (21) selbst. Aber wenn ihr Sinn schon im voraus bezweifelt wird, wenn die Frage sich nicht den Bedingungen klar definierter Sprechhandlungen fügt, mit welchen Fragen kann dann die Philosophie etwas anfangen? Jedenfalls müssen dann viele Alltagsfragen, die sehr oft Sinnfragen (in des Wortes mehrfacher Bedeutung) sind, ausgegrenzt werden.

6. Im Grunde teilt St.-W. die Sinnfragen in erlaubte und unerlaubte, in sinnvolle und sinnlose ein, so daß die theologischen Lebensfragen weitestgehend als nicht sinnvoll aussortiert werden, obwohl er sich im Widerspruch dazu z. T. sogar mit ihnen befaßt, wenn auch überwiegend negativ, ohne wirkliches Ergebnis.

Kritisch muß nach diesem Überblick über Stekeler-Weithofers Überlegungen folgendes angemerkt werden:

Um den umgangssprachlichen Sinnbegriff nicht in einer spezialistischen Sprache untergehen zu lassen, muß zuerst ganz allgemein festgestellt werden, daß im Hinblick auf unsere Wahrnehmungen jeder vorläufig anonyme „Sinn“ einer Situation, eines Gegenstandes oder eines Geschehens (d.h. vor jeder mit ihm verbundenen Ausdrucksform, wie es ein passendes Zeichen oder Wort darstellt) sich zunächst nur durch eine Intuition oder ein Gefühl für das Verständnis des Erlebten, Gesehenen oder Widerfahrenen ankündigt, und erst bei näherem Hinsehen und genauerer Erfahrung damit kann das Geschilderte in wiederaufrufbaren Zeichen für den konventionellen Umgang mit diesen oder ähnlichen Ereignissen wiedergegeben und in Sinnklassen zusammengefaßt werden. Erst danach kann den innerhalb ihres Sinnrahmens auffälligen Einzelheiten (eventuell auch auftauchenden Problemen) eine bestimmte Bedeutung für das (angenommene bzw. antizipierte) Sinnganze zugesprochen werden, in dem die Gemeinschaft als solche, der der Einzelne angehört, sich zuvor selber verortet hat.

Dieses hermeneutische Verfahren darf grundsätzlich als das für alle Wissenschaften gültige erkenntnistheoretische Vorgehen angenommen werden. Mit seiner Hilfe kann es mittels „trial and error“ (Popper) nach und nach zu differenzierte(re)n Verstehensformen im Umgang mit der Welt und den Gegenständen im eigenen Lebensumkreis und darüber hinaus kommen, wobei die Rückbindung an das eigene (meistens religiös getönte) Sinnerleben auch die Richtung des hermeneutischen Vorgehens anzeigt.

Von diesen Überlegungen aus muß an die Erörterungen von Stekeler-Weithofer die Frage gestellt werden, ob er nicht gut daran getan hätte, den Sinnbegriff zunächst unbefangen und abgelöst von allen Detailfragen mathematischer oder juristischer Art zu klären. Es hätte sich dann vermutlich gezeigt, daß die je nach wissenschaftlicher Disziplin und Problemsituation in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen auftretenden Sinnfragen nur dann richtig behandelt werden können, wenn die jeweilige Problemsituation aus sich selbst heraus auch eine Anleitung zur Aufstellung entsprechender Sinnordnungs-Kategorien gibt. Das zu zeigen, hat Stekeler-Weithofer jedoch m. E. versäumt. So bleibt an dieser Stelle der Sinnbegriff bei ihm eigentümlich unterbelichtet, und damit ist das Potential des Sinnbegriffs auch für eine wissenschaftliche Aufgabenstellung von ihm nicht voll genutzt worden.

 

III. Die Kontroverse Ebeling-Pannenberg um die Relevanz der Ethik für die Sinnfrage

1. In Vorträgen zum Verhältnis von Ethik und Theologie und dem daran sich anschließenden Schriftwechsel zwischen Ebeling und Pannenberg ging es um die Frage, ob die Ethik noch immer anstelle der Metaphysik (seit A. Ritschl und W. Herrmann) als Grundlage der (evangelischen) Theologie dienen könne, oder ob sie nicht doch inzwischen selber in eine Sinnkrise geraten sei, die es der Theologie unmöglich mache, sie weiterhin als allgemeingültige anthropologische Verständnisgrundlage wissenschaftlich-theologischer Arbeit zu verwenden. Dabei kommt Ebeling von seinem ethisch orientierten Ansatz aus kritisch auf die Sinnthematik bei Pannenberg zu sprechen, die wohl in seinen Augen nicht leisten kann, was sie leisten soll.

2. Ebeling sieht, daß sie beide den Sinn-Begriff auf verschiedene Weise verwenden. So erkennt er zu Recht, daß die Sinn-Thematik für Pannenbergs Theologie eine fundamentaltheologische Funktion erhalten hat.

Er nennt als Beispiele, wie Pannenberg den Sinn-Begriff verwendet: „Sinnthematik, [Sinnfrage], Sinnproblematik, Sinnintention, Sinnverstehen, Sinnerfahrung, Sinnvertrauen und Sinnerfüllung“ (ZThK 70, 1973, 466f.). Man könnte diese Liste sogar noch um einige andere „Sinn“-Ausdrücke verlängern, die bei Pannenberg passim (über sein ganzes Werk verteilt) vorkommen, wie z.B. Sinnganzheit oder Sinntotalität, die Ebeling später (468) selber hinzufügt.

Alles in allem seien bei Pannenberg „drei Gesichtspunkte bei der Erfassung von Sinn als Bedeutungszusammenhang bestimmend… : Totalität, Antizipation und Erfahrung“ (467). Etwas früher schreibt Ebeling (463), daß für die Sinnthematik bei Pannenberg auch „religiöse und metaphysische Thematik“ oder die „Thematik des Wirklichkeitsverständnisses“ eingesetzt werden könne (vgl. dazu die entsprechenden Andeutungen Pannenbergs in seinem Brief an Ebeling, abgedruckt ebd. 448-462, bes. 451).

3. Diese Darstellung der Sinnproblematik stehe allerdings in der Gefahr die Sinnfrage in einem ideologisierten Geschichtsdenken aufgehen zu lassen (468), ideologisch deswegen, weil sie offenbar dazu tendiere, das antizipierte Ende der Geschichte mit dem wirklichen Ende zu verwechseln. Das eschatologisch Letzte ist ja für Ebeling gerade nicht antizipierbar, weil es ganz von Gott her geschieht. Was wir antizipieren können, ist allenfalls das Vorletzte, das es ganz unideologisch zu erfassen gilt, soweit es sich für uns zu erkennen gibt.

Dagegen scheinen für Ebelings Sinnverständnis eher Begriffe wie Sinnbedürfnis oder Sinngewißheit typisch zu sein, mit denen er die Sinnthematik auf die ethische Existenz-Problematik zurücklenkt.

Aber anders als er selber das für richtig hält, habe Pannenberg die Sinn-Thematik von der ethischen Problematik des Zusammenlebens gelöst und verselbständigt. Pannenberg sei davon überzeugt, daß die Sinnfrage auf eine solidere Grundlage gestellt werden müsse, als es die Ethik ist, und daß nur eine erneuerte Metaphysik die Sinnfrage vor der Selbstauflösung der Ethik bewahren könne.

Allerdings genügt nach Pannenberg zur Erneuerung der Metaphysik nicht die bloße Wiederaufnahme alter metaphysischer Konzeptionen, denn sie sind s. M. n. nicht weniger strittig geworden als das Ethische, vom Religiösen ganz zu schweigen. Die Behauptung Ebelings, er wolle durch die Metaphysik die dornigen Fragen der Ethik umgehen, hält er für abwegig.

Ebeling sieht also die Sinnthematik in ethische Fragestellungen eingebettet, während er Pannenberg vorwirft, daß dieser die Theologie von der praktischen Ebene auf eine theoretische Ebene verlagere und darum den Sinn-Anspruch theologischen Redens von seinem ursprünglich ethischen Kontext ablöst.

4. Mir scheint diese Behauptung jedoch nicht zutreffend zu sein.

Denn auch für Pannenberg kann es massive Sinn-Widrigkeiten, ja Un-Sinnigkeiten im Zusammenleben geben, wie es ja auch jede Ungerechtigkeit ist, die sich nur ethisch, durch Abhilfe schaffende Eingriffe und d.h. durch ein beherztes Handeln lösen lassen. Im Nahbereich des alltäglichen Lebens dürfte diese Ethisierung der Sinn-Frage sogar die Regel sein. Erst recht gilt dies von kritischen Lebenssituationen, in denen der gesamte Sinn des eigenen Lebens infrage gestellt ist.

Diese Ethisierung der Sinnfrage ist nicht nur in vielen anderen theologischen Entwürfen zu spüren, sondern sie hat sich weithin auch in der Philosophie erhalten, selbst in der analytischen Sprachphilosophie gibt es entsprechende Konzeptionen.

5. Für Ebeling ist jedoch die Sinnfrage grundsätzlich erst dann in ihrer ganzen Tiefe erfaßt, wenn sie auf das praktische Leben übergreift, und daher ist sie auch nur so beantwortbar. Für den Ausschnitt eines begrenzten individuellen Lebens mag diese Feststellung zutreffend sein, weil und sofern der Einzelne davon ausgehen muß, daß er die Sinnfrage als ganze nicht aus eigenem Vermögen beantworten kann und muß, sondern sie im Rahmen der gesellschaftlichen Wertvorstellungen bereits für geklärt halten kann. Was er aber in der Tat aus eigenem Vermögen und aufgrund seiner persönlichen Verantwortung tun kann, um im eigenen Leben wieder einen Sinn zu erkennen, sobald dieser durch verschiedene Umstände verdunkelt wird, das kann und soll er auch tun, meint Ebeling. Dazu braucht er allerdings Kraft, die er in der Regel nicht aus sich selbst schöpfen kann. Nach Ebeling ist in dieser Situation der christliche Glaube mit seinen Kraftressourcen von unschätzbarem Wert, denn er stellt dem Glaubenden eine Hilfe zur Selbsthilfe zur Verfügung, die dem (scheinbar) sinnlos gewordenen Leben neuen Inhalt und Aufschwung verleiht. Die Sinngewährung des Evangeliums ist freilich von besonderer Art, weil sie den Glaubenden mit einer rational nicht aufweisbaren Kraft (nämlich mit Gottes Geist) ausstattet, die er anderswo in der Form nicht erhalten kann.

6. Für Pannenberg kommt es dagegen darauf an, der Sinnfrage nicht erst praktisch zu begegnen, wenn es bereits unter den eigenen Nägeln brennt, sondern zuvor (auf der Ebene der Ursachenerforschung) danach zu fragen, was die Ursachen des gesellschaftlich weit verbreiteten Sinnlosigkeits-Gefühls sind, das man durch existenzielles Engagement im eigenen Lebensbereich nur scheinbar beheben kann. Insbesondere die fundamentalen Anfechtungen für den eigenen Glauben lassen sich auf diese Weise nicht aus der Welt schaffen. Die gesellschaftlichen Krisenerscheinungen unserer Zeit nagen auch an den Glaubensgewißheiten und darum kann der Glaube an Gott nicht mehr wie bisher als Sinn-“Kraftwerk“ die eigenen Kraftreserven auffüllen, wenn sie zur Neige gehen.

So zeigt sich nach Pannenberg, daß auch und gerade die Ethik, auf die die Theologie lange Zeit meinte als unanfechtbare objektive Grundlage (W. Herrmann) aufbauen zu können, für die praktische Philosophie schon längst zweifelhaft, ja hinfällig geworden ist. Inzwischen bastelt sich jeder aus dem Elemente-Baukasten der unzähligen Sinn-Angebote seine eigene „Lebenskunst“ zusammen. Damit verliert die Gesellschaft in ethischer Hinsicht für das persönliche Verhalten und Handeln immer mehr an Zusammenhalt und Verbindlichkeit.

7. Während Ebeling das Ethische primär auf den individuellen Lebenssinn und das dazu notwendige Handeln des Einzelnen mit Bezug auf die ihm nahestehenden Menschen zu beschränken scheint, wie es in der reformatorischen Tradition weithin der Fall ist, sucht Pannenberg verstärkt die gesamtgesellschaftliche Dimension christlichen Handelns neu in den Blick zu nehmen, die er durch den schlichten Rekurs auf gemeinsame ethische Werte nicht mehr für ausreichend begründet hält.

 

2. Teil: Sinnerfahrung und Sinnverstehen in der Theologie Pannenbergs

I. Die Behandlung der Sinnthematik in den Schriften von Pannenberg.

1. Denken heißt für ihn, den „Sinn“ zu entdecken, der in den Dingen bzw. Fakten (Sachverhalten) selbst liegt, wenn sie in den Überlieferungszusammenhang gestellt werden, aus dem sie stammen und so auf ihren Horizont bezogen bzw. in ihrem jeweiligen Kontext betrachtet werden.

Die Sinnfrage ermöglicht es Pannenberg, gegenüber den herrschenden Theologien des Protestantismus (Barth- und Bultmannscher Provenienz) einen neuen theologischen Weg zu beschreiten, weg von der subjektivistischen Selbstwahrnehmung und existenzialistischen Expressivität hin zu einer Objektivität der Gegebenheiten und zu einer Wahrnehmung dessen, was ist, wobei das subjektive Erleben von Sinn eine notwendige Vorbedingung jeder Objektivität ist, die erst durch einen genauer bestimmten Sinnentwurf den Status eines diskussionswürdigen Diskussionsbeitrages erlangt.

2. In „Sinnerfahrung, Religion und Gottesfrage“ 18 von 1984 werden Sinn und Bedeutung zunächst an der Funktion von Worten als Satzgliedern im Ganzen eines (Behauptungs-) Satzes dargestellt. Dabei kommt das Sinnhafte, das ganz allgemein an den Gegenständen in ihrem Kontext haftende Sinnpotential, für Pannenberg vor der daraus abgeleiteten Sinngebungsmöglichkeit für den einzelnen Kommunikationsteilnehmer in Betracht. Denn sonst gäbe es ja keine wahren Sinnbehauptungen, auf die sich der Konsens aller festlegen läßt.

Sodann fragt Pannenberg nach dem Sinnverstehen im Akt des Erlebens. Hier geht er von der Analyse von Teil und Ganzem bei Dilthey aus. Das Erleben nimmt bestimmte Ausschnitte der Wirklichkeit als Teile eines Ganzen. „Erleben“ ist für Pannenberg trotz der Bindung an die Subjektivität des Erlebenden ein objektiver Vorgang, kein beliebiges Herausgreifen und willkürliches Bewerten eines einzelnen Aspekts.

Beide Beispiele zeigen, daß das Sinnverstehen aus sich selbst heraus nicht auf den Gottesgedanken stoßen muß. Der Gottesgedanke der Religionen muß daher einen anderen Ursprung haben. Wenn Gott nicht immanent (pantheistisch) in allem Irdischen enthalten gedacht wird, so daß er sich überall in der Natur vor dem Menschen verbergen kann (Ovids Metamorphosen), dann bleibt nur die Vorstellung einer Offenbarung, durch die er sich dem Menschen in einer besonderen Situation als der „ganz Andere“ zeigen und darstellen will, vielleicht sogar in seiner definitiven Gestalt. Das ist im großen und ganzen auch Pannenbergs Denkweise.

3. Was ergibt sich aus der Logik des Sinnverstehens für die Religion?

3.1 Das Erleben scheint unbewußt immer auf einen Gesamteindruck aus zu sein, und das macht es für die Sinnanalyse im einzelnen so wichtig. Aber der erste Eindruck einer Person oder der erste Überblick über ein Geschehen kann auch eine Täuschung sein.

So beginnt die Suche nach Anhaltspunkten, wie das Ganze sinnvoll zerlegt werden kann, damit die Bedeutung des einzelnen zutreffend erkannt werden kann. Das ist der hermeneutische Prozeß, der eine andauernde Bewegung vom Ganzen zu seinen Teilen und umgekehrt ist. Das Verstehen wird hier nicht von der Sinnerfahrung getrennt (wie bei Schleiermacher), sondern Verstehen und Sinnerfahrung bilden ein Ganzes, oder anders gesagt: ohne Sinnerfahrung kommt es auch nicht zu verstehender Analyse und Aneignung (Erinnerung) des Erlebten.

3.2 Das Erleben folgt bei Pannenberg einer bestimmten Ordnung. Im Grunde geht er von den größeren Einheiten zu den kleineren weiter, bis sich ihm ein Raster für alle wesentlichen Unterteilungen des Ganzen zeigt.

Im Blick „von unten“ auf den einzelnen Betrachtungsgegenstand sucht Pannenberg nach dem dazu gehörenden Rahmen. Dabei geht er davon aus, daß dieser ihn wie ein Gehäuse oder Fluß umschließt oder als Kontext begleitet. Es können aber auch unsichtbare Strukturen sein, deren Bestandteil der untersuchte Gegenstand ist. Der Rahmen kann praktisch alles sein: Gesetzmäßigkeiten, wenn sie das Zufällige am jeweiligen Gegenstand nicht eliminieren, Einzel-Ereignisse oder Ereignisketten, bei deren Auftreten auch er auftaucht. Alles ist möglich. Immer geht es Pannenberg dabei um eine höhere Einheit für die verschiedenen, auch gegensätzlichen Beobachtungen und Erfahrungen. Das macht es im Einzelfall so schwierig, den Rahmen genau abzustecken, auf den der im Focus stehende Gegenstand zu beziehen ist. Es ist jedenfalls klar, daß die Beziehung von Teil und Ganzem nicht immer auf Anhieb verstanden werden kann, insbesondere wenn es keine geeigneten Analogien gibt. Dann kann nur eine gesonderte Untersuchung der Umstände und möglichen Ursachen nähere Aufschlüsse über den jeweiligen Tatbestand geben. Dabei mögen auch Schein-Erklärungen im Rahmen einer bestimmten Weltanschauung weiterhelfen. So oder so findet erst mit einem geeigneten Rahmen der jeweils anvisierte Gegenstand seinen Platz im Gesamtsystem, wobei das System (das Ganze) sich ständig verändern kann, je nach Perspektive, Sachstand und Interpretation der Verhältnisse.

3.3 Religion ist demnach für Pannenberg in erster Linie ein Produkt der Sinnerschließung des Sinnganzen unter der Voraussetzung, daß es letztlich die göttliche Wirklichkeit 19 und allein sie ist, die dem Endlichen seinen tieferen Sinn gibt.

Weil jedoch diese göttliche Wirklichkeit in den verschiedenen Religionen aufgrund der Offenbarungen, auf denen sie basieren, sehr verschieden erlebt und dargestellt wird, kann die einzelne Religion zunächst nicht mehr sein als ein hypothetischer Entwurf, auch wenn er für ihre Gläubigen (in der Regel) mehr als das ist: die durch das Auftreten Gottes geheiligte und legitimierte Wahrheit schlechthin.

So irrational ihre Darstellungen über das Manifestwerden des Göttlichen in dieser Welt auch sein mögen, wenn man sie miteinander vergleicht, zeigt sich, daß sie in ihrem Kern auf eine sehr durchdachte Weise bemüht sind, das Besondere ihrer Gotteserfahrung im Wesen Gottes selbst zu verankern, soweit es daraus oder aus ähnlichen Widerfahrnissen erkennbar ist.

Das geschieht in den Religionen in der Regel durch eine Aufspaltung der Wirklichkeitsbereiche in profan und heilig, aber auch eine Überhöhung der diesseitigen Welt ist partiell möglich durch die Erscheinung Gottes in ihr. Wo die Schöpfung als Gottes Werk verkündet wird, hat der Mensch kein autonomes Verfügungsrecht mehr über sie, sondern da handelt er lediglich als Mandatar, dem von Gott ein spezielles und befristetes Mandat übertragen wurde. Er darf sie sich für seine Zwecke in einem begrenzten Umfang dienstbar machen, ist diesem Gott aber jederzeit rechenschaftspflichtig und auch schadensersatzpflichtig, wenn er die ihm übertragenen Rechte an ihrer Nutzung mißbraucht.

4. Wir halten fest: Das Sinnganze als eine Prolongation der Sinnerfahrung bis zu der Grenze, wo das Endliche ins Unendliche übergeht, kann nur indirekt oder gar nicht zu Aussagen über die religiöse Wirklichkeit Gottes herangezogen werden, weil das Göttliche keineswegs ein notwendiges Jenseits des Endlichen darstellt. Wenn es keine andere Bezugsquelle für das Göttliche gäbe, könnte es von der Sinnerfahrung allein nicht rekonstruiert werden. Die Sinnerfahrung kann begrifflich nicht über die Sinntotalität hinausführen. Aber wenn von „Gott“ als dem alles Umfassenden, dem weder das Endliche noch das Unendliche eine Grenze ist, nur aufgrund spezieller Offenbarung(en) die Rede sein kann, dann ist jede Form von Sinnerfahrung, wo auch immer sie im System des Ganzen durch Selbstexplikation lokalisiert wird, direkt mit Gott verbunden, ja sie entspringt im Unendlichen der göttlichen Wirklichkeit selbst, weil Gott das Sein hervorbringt (sofern er nicht sogar irrtümlicherweise mit dem Sein identifiziert wird), dessen Sinn erfragt wird, so daß man von hier aus auch von einer Identität von Sinnerfahrung und Gotteserfahrung sprechen kann. Dann ist Gott also auch in jeder Sinnerfahrung zugänglich. Negative Sinnerfahrung bis zur Erfahrung, daß im Ganzen kein positiver Sinn erkennbar sei, steht dennoch nicht im Widerspruch zur Annahme Gottes als dem Garanten von Sinnerfahrung, weil sie lediglich die „Abwesenheit“ Gottes in diesem Ganzen signalisieren würde, nicht dessen Nichtexistenz. (Wenn vom „Tod Gottes“ gesprochen wird, denkt man im allgemeinen an nichts anderes als an den „Tod“ einer bestimmten Form von Theismus.)

5. Geht man also von einer einzelnen Sinnerfahrung als Repräsentantin von Sinntotalität aus, kommt man nicht automatisch zu einer philosophisch fundierten Rede von Gott, weil reines Denken nur bis zur Sinntotalität gelangt. Will die Philosophie dennoch von „Gott“ sprechen, so muß sie den Gottesbegriff als Äquivalent für Sinntotalität benutzen, was sich eine in sich reflektierte (christliche) Theologie nicht gestatten kann, weil für sie der Gottesbegriff an das schöpferische Hervorbringen von allem, was ist, also des Seins, geknüpft ist. Philosophische Theologie muß demzufolge von Gott in einem anderen Sinne sprechen, nämlich im cartesischen Sinne, indem „Gott“ als der Urheber des Selbstbewußtseins des Menschen vorgestellt wird, und damit den Schöpfungsgedanken überspringen, an dem für die (christliche) Theologie der Gottesbegriff hängt. Wenn jedwedes „Wunder“ in der philosophischen Theologie ausgeschlossen ist, so erst recht das „Urwunder“ der Schöpfung als creatio ex nihilo. Die cartesische „Theologie“ ist insofern anthropologische Theologie, Ausdruck einer bestimmten Form des Selbstverständnisses des Menschen in unserer Welt, ein Modell des Sinnverstehens unter Ausschluß der Frage, woher die Natur kommt, das Andere Gottes, das für die christliche Theologie mit in die Kompetenz des biblischen Gottes fällt.

 

II. Was bedeutet Pannenbergs Rede von „Sinntotalität“ für eine philosophisch begründete Rede von Gott? (Thesen)

1. Gott ist zwar nicht mit „Sinntotalität“ unmittelbar identisch, aber das mit der Sinntotalität angeschlagene Thema kann nur durch den Gottesgedanken konkret explizit gemacht werden. Genauer gesagt: Jeder Gottesgedanke in gleich welcher Religion ist eine Konkretion der Sinntotalität 20 alles Lebens und Daseins unter vielen anderen Konkretionen. Eben darum gibt es nicht nur Streit zwischen den Religionen, ob und inwieweit der in ihnen angebetete Gott auch wirklich der über allem stehende Gott und Schöpfer dieser Welt ist. Sondern der Gottesbegriff der Religionen braucht auch umgekehrt das Korrektiv des philosophischen Gottesgedankens, um den von ihnen verehrten Gott als den einen Gott aller Menschen (und nicht nur seiner Verehrer) verstehen und ausgeben zu können.

2. Die Wirklichkeit Gottes ist also im Verständnis der Sinntotalität aller erfahrenen Wirklichkeit mitgegeben und daher nur im antizipatorischen Entwurf erfaßbar (WthuTh 312).

2.1 Der Gottesgedanke einer jeden Religion erweist sich damit zugleich am Ganzen der Wirklichkeitserfahrung als bewährungsfähig, aber auch -bedürftig.

2.2 Die Prüfung des Gottesgedankens auf seine Relevanz für das gegenwärtige Wirklichkeitsverständnis erfolgt im Vergleich der in ihm erschlossenen Wirklichkeit mit der in allen ihren Aspekten auch sonst zugänglichen Wirklichkeit, von der menschliche Erfahrung Kunde gibt (sei es mehr wissenschaftlich-objektiv oder mehr intuitiv).

2.3 In solcher Beziehung auf die Totalität erfahrener Wirklichkeit erweist sich der Gottesbegriff als problematisch. Er ist nämlich einerseits der erfahrenen Wirklichkeit gegenüber transzendent, denn sonst könnte er sie nicht als das (noch nicht vollendete) Ganze umfassen und zum Ganzen abschließen, andererseits aber soll er auch in ihr (immanent) präsent sein. Darum muß postuliert werden, daß er in jeder einzelnen Sinnerfahrung mitgegeben ist. Das bedeutet: In jeder einzelnen Sinnerfahrung von gleich welcher Reichweite ist eine Beziehung zu Gott als Sinntotalität mitgesetzt.

3. Der bei Dilthey, Heidegger und Gadamer durch die hermeneutische Theorie 21 des Sinnverstehens konstituierte geisteswissenschaftliche Begründungszusammenhang philosophischer und theologischer Theorien über die Wirklichkeit im Ganzen wird bei Pannenberg durch die „Logik der Antizipation“ 22 mit Hilfe des hypothetisch bestimmten Begriffs der Sinntotalität in eine Konzeption von Universalgeschichte einbezogen, deren Wahrheit und Sinn in der eschatologischen Gottesoffenbarung im Christusgeschehen 23 liegt.

3.1 Denn für ihn ist die jüdisch-christliche Glaubensgeschichte mindestens eine mögliche Konkretion der Sinntotalität. Diese wird sich freilich erst dann, wenn das Christusgeschehen am Ende der Geschichte Gottes mit seiner Welt als die definitive Offenbarung Gottes bestätigt ist, was bis jetzt nur im Glauben (und nicht im Schauen) als wahr angenommen („vorweggenommen“) werden kann, auch vor der ganzen Welt (einschließlich der Nichtgläubigen) als die einzig wahre Konkretion der Sinntotalität erweisen, aus der nicht gelebt zu haben schon jetzt als Verfehlung des eigenen Lebens-Sinns beurteilt werden müsse.

3.2 Ob sich der christliche Glaube in diesem Sinne als die Wahrheit des von ihm angebeteten Gottes bestätigen wird, das hängt aber nicht nur von Gott selbst, sondern auch davon ab, ob bis dahin immer wieder neu gezeigt werden kann, wie uns dieser in Christus zugängliche Gott unsere Welt so erschließt, daß sie als seine von ihm geschaffene Welt erkennbar und erfahrbar wird.

4. In der Bewegung des Sinnverstehens (WthuTh 199) greift der Ausleger geschichtlicher Vorgänge auf eine Totalität vor, in deren Licht die kritisch angeeignete Überlieferung jenes Geschehens ihre Bestimmung findet und ihre zeitbedingte Gestalt verliert, in der sie überliefert wurde („Entpositivierung“ der Überlieferung).

4.1 Die Sinntotalität umfaßt die Bewegung des Sinnverstehens als „Totalität eines ungesagten und in seinen genaueren Konturen noch unbestimmten Sinnhorizontes“ (198). Sie erweist sich durch „die immanente Analyse der Sinnerfahrung“ als die „implizit mitgegeben(e) ... Voraussetzung“ „in aller Erfahrung von Einzelbedeutungen“, weil „jede Einzelerfahrung nur in Bezug auf ein Bedeutungsganzes ihre bestimmte Bedeutung besitzt“ (201).

4.2 Daher geht das Thema der Sinntotalität auch nicht im gesellschaftlichen Ganzen auf, weshalb ein darauf verengter Begriff von Sinntotalität (gegen Habermas) sich auch nicht als unumgängliches Thema sinnverstehender Reflexion auf Sinnerfahrung dartun läßt, zumal dadurch auch die metaphysischen und religionsphilosophischen Aspekte ausgeblendet würden. Das gesellschaftliche Ganze ist vielmehr das Unwahre, sofern es zur totalen Gewalt über die Individuen wird (Adornos „Verblendungszusammenhang“).

4.3 Demnach hat die Reflexion auf Totalität im Sinne dieser Sinn- oder Bedeutungstotalität zum Ziel, „ausdrücklich zu thematisieren, was implizit in aller Erfahrung von Sinn und Bedeutung und also in allem Erleben überhaupt schon vollzogen wird“ (196), so daß sich der „Begriff der Totalität aus der Struktur der Bedeutungserfahrung selbst aufzeigen“ (ebd.) lassen muß.

5. Daß die Totalität der Wirklichkeit abschließend im Begriff erfaßbar sei (Hegel) oder im Horizont der Jetztzeit (in dem die „Horizontverschmelzung“ stattfindet) dem Prozeß hermeneutischen Verstehens eine unüberschreitbare Grenze gesetzt sei, die nur im Ideal aufhebbar sei (Gadamer) und individuelle Lebenseinheit nur im Vorlaufen auf den Tod und im Tod selbst konstituiert wird (Heidegger), weist Pannenberg mit seiner Theorie der Sinntotalität ab, die in der Konsequenz des von der Geschichtlichkeit aller Wirklichkeitserfahrung (Dilthey) ausgehenden und darauf reflektierenden Denkens liegt, das schon „mit jedem ersten Schritt … an Identität, Ganzheit orientiert“ ist (GmF 66), wobei solche Theorie nur im überschreitbaren Entwurf sich konkret gegeben ist.

6. Gemäß diesem Ansatz bei der Sinnerfahrung als einem objektiven, nicht auf Wahrnehmungspsychologie reduzierbarem Geschehen kann jede Religion als ein Entwurf erlebter und – wie vorläufig auch immer – interpretierter Sinntotalität verstanden (und relativiert) werden, wobei „Gott“ religionssoziologisch durch den Herrscher als Garanten der jeweiligen Sinn-Welt repräsentiert wird. Diese Sinn-Welt bestimmt den inneren Kreislauf des gesamten religiösen Lebens der durch sie konstituierten Gemeinschaft. Die regelmäßig zur Aufführung kommenden Rituale dienen der Aneignung und Verinnerlichung der aus den Strukturen jener Sinnwelt abgeleiteten codices des sittlichen Lebens in der Gemeinschaft. Der Wesensgehalt dieser Sinn-Welt kann jedoch nur mittels geeigneter Symbole 24 erkannt und dargestellt bzw. weitergegeben werden und erfordert daher in der Regel eine ausgebildete und mit der Herrschaft des Souveräns liierte Priesterschaft. Darum können Religionen allerdings ebenso sang- und klanglos untergehen wie ein Imperium mit seinen Herrschern untergeht, wenn sie ihre Kriege verlieren oder auf andere Weise ihre Macht abnimmt. Anders in Israel, wo die Religion nur selten im Dienste der Herrschaftstabilisierung der Könige stand. Dort konnte sie auch den Niedergang des eigenen Staatswesens überdauern und in neuen Formen weiter bestehen.

7. Wie immer Gott im philosophischen Sinne definiert werden soll, immer haben wir es dabei nach Pannenberg mit einer Interpretation der Sinntotalität zu tun, nur daß die philosophische Bemühung um eine sinnvolle Rede über Gott nicht von der für die geschichtlichen Religionen grundlegenden (Selbst-) Offenbarung Gottes in einem oder mehreren bestimmten Widerfahrnissen ausgehen kann. Sie kann daher die Vernunft zum ausschließlichen Kriterium für ein sinnvolles Reden von Gott machen. Sie nimmt dafür aber in Kauf, daß zu diesem Gott nicht wirklich gebetet werden kann. Er bleibt biblisch gesprochen ein "stummer Götze". Er erfüllt lediglich das Bedürfnis nach Selbstbegründung des Selbstbewußtseins durch Setzung eines für die Stimmigkeit selbstbewußten Lebens vorauszusetzenden "Wesens", das wegen der Dualität von Ich und Welt dafür sorgt, daß die Welt auch wirklich durch menschliche Vernunft erkannt werden kann. Immerhin treibt der Vollzug vernünftigen Denkens die Philosophie immer über sich hinaus, auch wenn sie das was sie in Bewegung hält nicht benennen kann. Doch auch dieser relativ schwache (auf logischer Argumentation beruhende) Nachweis für die Sinnhaftigkeit des Redens von "Gott" bedeutet nicht wenig in einer säkularen Welt, der mehr und mehr die Ressourcen für eine intellektuell wahrhaftige Existenz im Zusammenleben der Menschen zu entschwinden drohen, weil dadurch die Möglichkeit einer anderweitig begründeten Rede von Gott offengehalten wird.

 

 

Schlußwort

Ich hätte gerne zum Abschluß meines Argumentationsversuchs die beiden Entwürfe zur philosophischen Theologie von Th. Rentsch (Gott, 2005, er selber spricht nur von einer „philosophischen Prototheologie“, 48ff.) und J. Schmidt (Philosophische Theologie, 2003) genauer untersucht, da sie beide ebenfalls wie Pannenberg an der Sinnthematik interessiert sind, aber da es mir hier vor allem um Pannenbergs Ansatz geht, muß ich diese Untersuchung auf später verschieben. Rentsch hält sogar ein philosophisch begründetes Reden von Gott für „sinnvoll und … unumgänglich“ (206). Andererseits sieht er philosophische Vernunft und religiöse Lebenspraxis nicht auf derselben Ebene angesiedelt (208), aber sie können sich „ergänzen und bereichern“. Für die katholische Tradition gehört die philosophische Gottesfrage schon immer zum Vorhof christlicher Gotteslehre. Aber der Jesuit J. Schmidt geht noch weiter. Er entwickelt eine philosophische Theologie auf der Basis der Sinnthematik. Dabei zeigen Vorgehen und inhaltliche Ausführung seines Programms verschiedene Parallelen und Überschneidungen mit der Konzeption Pannenbergs, die man im übrigen auch bei Rentsch feststellen kann (4ff., 22ff., allerdings ohne ihn namentlich zu nennen). Damit erhärtet sich jedenfalls Pannenbergs Annahme, daß die Sinnfrage, so wie er sie interpretiert, nämlich als Sinnverstehen, das Fundament für eine philosophische Theologie liefern kann.
 

 

Pfr. i. R. Wolfgang Massalsky, 25. 10. 2014

 

 

Anmerkungen: 

1 In einem Beitrag zur Festschrift für J. Habermas zum 60. Geburtstag „Zwischenbetrachtungen: Im Prozeß der Aufklärung“, 1989, verlangt J. B. Metz, Anamnetische Vernunft, S. 733 ff. sogar umgekehrt diese Verbindung ganz aufzukündigen, weil sie im Verein mit einer entsprechenden Geschichtsschreibung, wonach Geschichte nur von den Siegern zu ihrer Selbstdarstellung oder als Legitimierung ihres Erfolges geschrieben werde, zur Schwächung der Anerkennung des Lebensrechts der Opfer geführt habe. Darum fordert er, den „Geist“ nicht dem griechischen Denken, sondern ebenfalls der hebräisch-jüdischen Tradition „anamnetischen Eingedenkens“ zu entnehmen. Denn sie halte das Bewußtsein wach für die Opfer der Macht- und Fortschrittsgeschichte unserer Zivilisationen und verhindere so zu vergessen, welcher Preis an Menschenleben und Kulturvernichtung für das gegenwärtige zivilisatorische Leben bezahlt werden mußte.

2  Zu diesem Begriff gibt Chr. Markschies einige nützliche Anmerkungen, wobei er sogar die Berechtigung hinterfragt, von einer Hellenisierung des christlichen Glaubens zu sprechen, wie es in kritischer Form bes. A. v. Harnack getan hat, was jedoch Papst Benedikt als einen typisch protestantischen Irrweg anzusehen scheint. Markschies neigt eher dazu von „Romanisierung“ statt von „Hellenisierung“ zu sprechen (422). Am meisten sei der hellenistische Einfluß im gedanklichen Apparat der Theologie des Arius zu erkennen (aaO 425ff.), einer bes. von Athanasius als „ketzerisch“ verurteilten Glaubensrichtung, die die nizänische „Orthodoxie“ erst nach langem Kampf erfolgreich zurückdrängen konnte (AnfdChr).

3 Daß die Sinnthematik der Schlüssel ist, um die logische Zusammengehörigkeit von Glaube und Vernunft zu erkennen, hat offenbar erst Pannenberg in dieser Deutlichkeit gesehen und darzustellen versucht: So spricht er davon, daß der Glaube immer schon auf die Zukunft zugeht, die die Vernunft bereits im Rücken hat (GystTh I, 251), insofern sie ja für jeden Satz die Sinntotalität bereits in Anspruch nimmt. Aber dies bedeutet zugleich, den postmodernen Irrationalismus in Sachen Vernunft und Wahrheit zu überwinden. In dieser Situation, meinte Pannenberg, sollten die theologischen Bemühungen um die Erneuerung des Bündnisses von Glaube und Vernunft erneut Gehör finden können (so P. In „Gottes Vernünftigkeit“ vom 1. 2. 2000 in FAZ, Antwort auf Ratzingers Aufsatz „Der angezweifelte Wahrheitsanspruch“).

4 Wenn ich Habermas richtig verstehe, lehnt er gerade das ab, vermutlich um einem falschen Idealismus vorzubeugen, siehe „Kommunikatives Handeln und detranszendentalisierte Vernunft“, 2001.

5 Vgl. ST I,181 (A 129)

6 „Logik der Antizipation“ GsystTh I, 152

7 GmF 108ff., 111, GsystTh I, 150

8 Vgl. Kontingenz und Naturgesetz, in: Erwägungen zu einer Theologie der Natur, 1970 (hrsg. A.M.K. Müller)

9 Siehe oben Anm 5

10 Dieser Begriff darf hier nicht verengt aufgefaßt werden als Frage nach einem neuen Sinn, wenn alles was man bis dahin für sinnvoll gehalten hat, zerbrochen ist. Die Sinnfrage ist hier also neutral zu verstehen, mehr im Sinne von Sinnthematik.

11 In diesem Sinne kann es sogar Habermas inzwischen begrüßen (so in der Disputation mit dem damaligen Kardinal Ratzinger in München am 19. 1. 2004, daß die Sinn-Ressource Religion nicht gänzlich erkaltet, denn auf Dauer erhält sich auch ein schwacher moralischer Gesellschaftsglaube (vgl. die von Stekeler-Weithofer Kant zugebilligte „Haltung hoffenden Glaubens“) nur, wenn ihm immer wieder neue Ressourcen von Seiten des lebendigen religiösen Glaubens zufließen. Daß dazu das religiöse Bewußtsein der Gesellschaft immer wieder geweckt und gefördert werden muß, sollte der Philosoph nicht in Abrede stellen.

12 Davon zeugen auch H. Gollwitzers Werke, ob das gemeinsam mit Weischedel verfaßte „Denken und Glauben“, 1965 oder „Die Existenz Gottes im Bekenntnis des Glaubens“, 1963, bes. aber „Krummes Holz, aufrechter Gang“, 1970. Der Eindruck des Dezisionismus ist allerdings immer dort unvermeidlich, wo man nicht zu zeigen versucht, auf welchen Wegen (Vermittlungen) das Wort Gottes zum Menschen dringt und von ihm religiös aufgenommen wird.

13 vgl. Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus, 1971 (hrsg. J. Salaquarda)

14 Die Philosophie der humanen Welt, 1989

15 Ganz ähnlich wie Kambartel bezeichnet auch Rentsch (Gott) diese Bemühungen als „grundlegende Kategorienfehler“ (18), auch was die nur privilegierten Einzelnen gewährten Offenbarungserlebnisse und damit verbundene Erkenntnisse über Gott angeht, spricht er von einem „Kategorienfehler“ (22)

16 vgl. Pirmin Stekeler-Weithofer, Die Frage nach dem Sinn, in: St. Tolksdorf, Holm Tetens (Hrsg.), In Sprachspiele verstrickt – oder: Wie man der Fliege den Ausweg zeigt. Verflechtungen von Wissen und Können, 2010, S. 9- 28

17 Später spricht er zwar auch von anderen Sinnfragen, z. B. von sog. „kosmologischen“ Sinnfragen (25), wenn es um Tod und Jenseits geht, um aber im gleichen Atemzug zu sagen, daß sie von der Sprechakttheorie aus geurteilt, als sinnlos zu bezeichnen sind.

18 in: Philosophie, Religion, Offenbarung. Beiträge zur SysTheol, Bd I, 1999

19 Vgl. GsysTh II, 76

20 s.o. Anm. 19

21 GsysTh I, 142-151

22 s.o. Anm. 6

23 Dies bedeutet aber keine dogmatische Vorentscheidung über den Verlauf der Geschichte. Das Christusgeschehen hält allerdings den universalgeschichtlichen Horizont bis zum „Ende der Geschichte“ offen und verhindert so seine vorzeitige Schließung.

24 vgl.dazu Stellen wie ST I, 183 oder Anthr 303, 445

 

Verwendete Literatur mit Abkürzungen (bis auf das im Text bereits vollständig Genannte):

Sämtliche im Text erwähnten Werke Wolfhart Pannenbergs

Offenbarung als Geschichte, hrsg. W. Pannenberg, 1961

Grundzüge der Christologie, 1964

Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973 (WthuTh)

Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983 (Anthr)

Gottesgedanke und menschliche Freiheit, 1972 (GmF)

Grundfragen systematischer Theologie Bd I / II (GsystTh I oder II)

Systematische Theologie Bd 1, 1988 (ST I)

Macht der Mensch die Religion oder macht die Religion den Menschen? Ein Rückblick auf die Diskussionen des religionstheoretischen Arbeitskreises (1980) in: T. Rendtorff (Hg.) Religion als Problem der Aufklärung, 1980

Papst Benedikt XVI (Joseph Ratzinger), Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung, 2006

Wolfgang Huber, Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung, 2008

Chr. Markschies, „Hellenisierung des Christentums“? – die ersten Konzilien, in: Die Anfänge des Christentums, 2009, hrsg. F. W. Graf, K. Wiegandt (AnfdChr), 397- 436

 

F. Kambartel, Philosophie der humaner Welt, 1989

 

 

 

 

 

Wieviel Philosophie ist der Theologie zumutbar?

 

 

 

Zur bleibenden Bedeutung des theologischen Ansatzes von Wolfhart Pannenberg für eine philosophische Theologie

 

 

1.1 Mit dem Nachlassen der Überzeugungskraft der Wort-Gottes-Theologien Barths und Bultmanns kam in der evangelischen Theologie der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (teilweise auch schon früher) das Bedürfnis auf, einen neuen Dialogversuch mit der Philosophie, bes. mit der Wissenschaftsphilosophie zu starten. Das „Gespräch“ mit einzelnen Philosophen und die positive Rezeption der Philosophie Heideggers genügte jedenfalls vielen nicht mehr, um die Theologie aus der drohenden Ghettoisierung herauszuführen. Die gewachsenen Ansprüche an Wissenschaftlichkeit verlangten ihrerseits eine Überprüfung der Grundlagen der Theologie als universitäre Disziplin, um ihre Legitimation und Akzeptanz im Universitätsbetrieb zu sichern.

1.2 Die Probleme der älteren Erkenntnistheorie waren inzwischen vielfach von wissenschaftstheoretischen Fragestellungen überholt worden. Inwiefern dadurch nicht nur das Selbstverständnis und die Grundlagen der Theologie, sondern auch der (dogmatische) Gewißheitsgrad theologischer Erkenntnis und damit die Gewißheit des Glaubens selbst berührt wurden, darüber gab es wie in allen anderen wichtigen Fragen und Problemen zwischen den Vertretern der Wort-Gottes-Theologien keine großen Dissense. Was Theologie ist, wurde in der Regel je nach Standpunkt mehr im Sinne lutherischer oder reformierter Lehrüberzeugungen entschieden. Man orientierte sich entweder an der existential-hermeneutischen Theologie Bultmanns oder an der Barthschen „Kirchlichen Dogmatik“, deren negatives Wissenschaftsverständnis sich in der schroffen Ablehnung der Wissenschafts-Postulate von Heinrich Scholz zeigte. Beide Schulen brachten indes ein breites Spektrum von Positionen hervor, darunter auch manche Verbindungen mit den etablierten volkskirchlichen Richtungen. Die Konservativen unter diesen orientierten sich vor allem an Kirchlicher Lehre und Bekenntnisschriften und waren gegenüber universitärer wissenschaftlicher Theologie überwiegend skeptisch bis ablehnend eingestellt, weil sie die Gemeinden in ihrer Frömmigkeit verunsicherte.  

Was sie alle verband, war die Vorstellung, daß es in der evangelischen Theologie vor allem um den wissenschaftlich kontrollierten, nachvollziehbaren Weg vom „Text zur Predigt“ gehe.

Die Verkündigung stand für alle im Vordergrund. Die sozialen Veränderungen im Verhältnis von Kirche und Gesellschaft blieben meist unreflektiert. Und die neuen wissenschaftstheoretischen Fragen wurden in ihrer Relevanz nur selten thematisiert; unter jungen Theologen standen damals zumeist die sozialdiakonischen und gesellschaftskritischen Fragen im Vordergrund.

 

2. In diese Phalanx volkskirchlicher Strömungen, die das in ihren Augen Bewährte verteidigten, brach mit dem sog. Pannenberg-Kreis, der sich um die Programmschrift „Offenbarung als Geschichte“ (1961) sammelte, eine ganz anders orientierte Theologie ein, die die Axiome der herrschenden Theologien in Frage stellte. Insbesondere Wolfhart Pannenberg, einer der wichtigsten Wortführer dieser „Bewegung“, forderte im Interesse einer Erneuerung der Kirche in der geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation der damaligen Zeit, die auf theologischer Seite so lange vernachlässigte Auseinandersetzung mit Philosophie und Wissenschaftstheorie, aber auch den Naturwissenschaften nicht länger aufzuschieben. Er selber ging hier mit seinen verschiedenen theologischen Werken entschlossen voran.

2.1 Dabei diente die Beschäftigung mit Wissenschaftstheorie Pannenberg vor allem zur Klärung des Wissenschaftsstatus und der inneren Gliederung (Fächer) der Theologie als Wissenschaft, während seine Beschäftigung mit der Philosophie vor allem auf die Begründung einer sachhaltigen, auch philosophisch sinnvollen Rede von Gott abzielte.

2.2 Das führte ihn als erstes zu der Frage, welche Probleme sich der Theologie als Wissenschaft von Gott im Hinblick auf die Haltbarkeit einer Rede von Gott gegenüber dem Atheismus und der auch christlich motivierten Religionskritik stellen. Vor allem geht es dabei um die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug der Rede von Gott. Er selbst sah es als systematisch notwendig an, Anthropologie und Religionsgeschichte sowie Religionsphilosophie miteinander zu verbinden, um einen empirischen Zugang zum Verständnis der Wirklichkeit Gottes zu gewinnen. 

2.3 Ein nur offenbarungspositivistisch begründetes Reden von Gott (wie bei Barth) ohne jeden Bezug auf „natürliche“ Theologie beraubt die Theologie in letzter Konsequenz des Gottesbegriffs, der sich nur religiös legitimieren läßt, wenn er auch außerhalb der Religion seine  Relevanz behält. 

2.4 Damit stellt sich die weitere Frage, ob die philosophische Anthropologie auf den Gottesbezug des Menschen verzichten kann, ohne den Menschen in seinem Menschsein zu verfehlen. Gibt es im Selbstverständnis des Menschen Anhaltspunkte dafür, daß er sich nur unter Zuhilfenahme religiöser Kategorien angemessen verstehen kann, auch wenn er das aus welchen Gründen auch immer verdrängen mag? 

2.5 Für die Gotteslehre im engeren Sinne ergab sich für Pannenberg zweitens die Aufgabe, die mit dem in der Theologie bis ins 20. Jahrhundert herrschenden Theismus unablösbar verbundenen Angriffsflächen gegen den Gottesglauben durch eine Neufassung der Trinitätslehre zu überwinden, die sie als die Auflösung des Gegensatzes von Weltimmanenz und Welttranszendenz Gottes verstehen läßt und damit den in ein frommes Jenseits abgeschobenen Gott aus seinem heiligen Bezirk in die Mitte des Lebens zurückholt. 

 

3. Der entscheidende Ausgangspunkt seiner philosophischen Theologie ist die (Universal-) Geschichte als äußerer Rahmen und darin die Kategorie der Zukunft als die Kategorie des Unabgeschlossenen und Offenen, der vor Gegenwart und Vergangenheit die ontologische Priorität gebührt. Nur ein Gott, der dieser Zukunft gegenüber nicht wie alles sonst Vorhandene ohnmächtig ausgeliefert ist, sondern in ihr selber gegenwartsbestimmend auf dem Plan ist, so daß selbst die abgeschlossenen Prozesse der Vergangenheit in seinem Licht wieder lebendig werden, nur dieser Gott verdient es, als Gott angebetet zu werden.

 

4. Von diesem Gottesverständnis aus, das seinen Grund in Jesu Gottesreich-Botschaft habe, werden auch die Probleme der klassischen christlichen Gotteslehre neu angegangen, als da sind:

4.1 christologisch: Die Einheit der Person Jesu als Mensch und Gottessohn unter Wahrung des vollen Menschseins Jesu durch seine „Selbstunterscheidung“ von Gott als Kriterium wahrer Gottessohnschaft.

4.2 trinitätstheologisch: Der abstrakt theistische Gott, der als „philosophischer“ Begriff vom trinitarischen Gott der Christenheit (zu seinem und zum Schaden des trinitarischen Gottesbegriffs) abgetrennt und ihm vorgeordnet war, wird in die Denkformen einer insoweit mit der „natürlichen“ Theologie versöhnten Trinitätstheologie zurückgeholt. Gott kann sich nur selbst „beweisen“ (in Entsprechung zum ontologischen Gottesbeweis), weil er nicht an etwas Anderem außer sich „bewiesen“ werden kann, ohne seine Gottheit aufzugeben.

4.3 eschatologisch: Während die bisherige Theologie wegen der Determiniertheit des Weltgeschehens aufgrund von Gottes Allmacht und Allwissenheit trotz gegenteiliger Beteuerungen das Recht des Menschen auf Freiheit (vom Verlust der Freiheit durch die Sünde abgesehen) stark einschränken oder sogar verneinen mußte, kann für Pannenberg die Lösung dieses Problems nur darin bestehen, daß der trinitarische Gott ein Gott der Freiheit ist, in der Begegnung mit dem der Mensch erst wirkliche Freiheit erlangt: die Freiheit des Neuen Adam als das wahre Ebenbild Gottes, die Freiheit der Sohnschaft oder Gotteskindschaft.

4.4 kosmologisch: Wenn Gott als der Schöpfer von Himmel und Erde angebetet wird, so fordert dies von der Theologie, in Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft und Naturphilosophie aufzuzeigen, daß die Natur den Gedanken einer Schöpfung nicht (gänzlich) ausschließt. Damit stehen wir vor dem Problem Naturgesetz, Evolution und Kontingenz.

4.5 religionssoziologisch: Was die Bedeutung von Religion für die Gesellschaft angeht, so ist sowohl das Verhältnis von Religion und Kultur öffentlichkeitswirksam neu zu definieren als auch das Verhältnis von Kirche und Staat wegen des herrschenden Säkularismus neu auszurichten. Die multikulturelle und multireligiöse Indifferenz gegenüber dem Christentum hält er für falsch; sie gefährdet sogar den Zusammenhalt der Gesellschaft und das Funktionieren der Institutionen.

4.6 politisch: Das Reich Gottes als das Ziel aller politischen Herrschaft bedeutet zugleich die Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Die nicht auf konfessionelle Selbstbehauptung fixierte Kirche repräsentiert schon jetzt inmitten einer noch unerlösten Welt die künftige Einheit der Menschheit über alle Grenzen und Spaltungen hinweg.

 

5. Von besonderer Bedeutung für eine philosophische Theologie ist das Bemühen Pannenbergs um eine philosophisch reflektierte Begrifflichkeit, die er nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem Programm des Transzendentalen und des Deutschen Idealismus entwickelt hat. Kant und Hegel werden von ihm nicht etwa zu den neuzeitlich-modernen Antipoden des christlichen Glaubens gezählt, wie es z. B. Kardinal Joseph Ratzinger getan hat, sondern als Vertreter einer Philosophie gesehen, die das theologische Reden von Gott ernst nehmen wollte.  

Im einzelnen geht es Pannenberg um:

5.1 Gott als Problembegriff

5.2 hypothetisches statt dogmatisches Reden über Gott, um von Gott auch theoretisch (mit Falsifikationsmöglichkeiten) und nicht nur „assertorisch“ sprechen zu können; gegen jede Immunisierung gegen Kritik spricht sich Pannenberg für eine "Entpositivierung" der Tradition aus (gegen Gadamers relativ autoritäres Traditionsverständnis)

5.3 Religion als (innerster) Kern eines weltanschaulichen Paradigmas

5.4 Sinn oder Sinnlosigkeit als Ergebnis konkreter, auf Kontexte bezogener Sinnerfahrung, deren letzter Horizont die Sinntotalität ist (eine Art philosophischer Gottesbegriff, der sinnhafte Kern religiöser, aus Offenbarung abgeleiteter Gottesrede)

5.5 Ganzheit, die nicht nur regulativ oder heuristisch, sondern ontologisch verstanden werden müsse als ein Ganzes von Teilen, das mehr ist als die bloße Summe derselben. Das Ganze ist nur durch subjektive Antizipationen zugänglich, die in einen überprüfbaren (falsifizierbaren) Entwurf umgesetzt werden müssen.

5.6 Aufhebung des Begriffs in den „Vorbegriff“, als der Inbegriff einer immer nur vorläufigen Erkenntnis,

5.7 Korrespondenzbegriff von Wahrheit statt konsensueller Wahrheit (Habermas), welcher der Sachbezug als entscheidendes Kriterium verloren zu gehen droht,

5.8 geschichtliche Erkenntnis als Aufdeckung eines ontologischen Tatbestandes (sowohl nach rückwärts wie vorwärts anwendbar),

5.9 Integration und Perspektivik [was darunter zu verstehen ist, kann im Arbeitskreis leider nicht genauer erläutert werden]

 

6.1 und 6.2 muß hier ebenfalls leider ausgespart werden!

[6.1 Andere theologische Bezugnahmen jener Jahre auf Hegel (Moltmann, Marsch, Sölle, Metz und Küng)

6.2 Die Rezeption von utopischer Philosophie (Ernst Bloch), Naturphilosophie (Whitehead), kritischem Rationalismus (Popper, Albert), Sprachphilosophie und analytischer Philosophie (Wittgenstein u.a.), Sozialphilosophie (Mead) in anderen theologischen Konzeptionen]

 

7.1 Schließlich ist zu überlegen, ob die Darstellungen und Beschreibungen von Röd und Tegtmeyer in Sachen Gottesidee die Theologie betreffen, oder ob es sich um ein „Selbstgespräch“ von Philosophen handelt, das das theologische Gegenüber nicht trifft. Welchen Ort und Wert haben die Klärungen und Analysen zur philosophischen Gottesidee für theologische Anthropologie und Gotteslehre? Wie könnte eine Theologie, die sich dem Anliegen Pannenbergs verpflichtet fühlt, das Gespräch zwischen Theologie und Philosophie nicht abreißen zu lassen, darauf reagieren? (Exkurs 1) 

7.2 Ebenso kann gefragt werden, ob die Entgegensetzung von philosophischer Theologie und Naturalismus auf etwas anderes hinausläuft als auf die berühmte Pattsituation im Spiel zweier Schachspieler, die mit ihren Zügen (Argumenten) am Brett keinen entscheidenden Vorteil mehr gegeneinander erringen können, weil sie positionell gleich stark aufgestellt sind bzw. gleich stark gemacht wurden. Eigentlich handelt es sich bei beiden um zwei Seiten ein und derselben Medaille und nicht um wirkliche „Gegner“. Aber gibt es die innerhalb der Philosophie überhaupt? (Exkurs 2)
 

8. Positives Interesse der Philosophie an theologischen Fragestellungen findet sich unter den deutschen Berufsphilosophen nur selten. Große Ausnahmen waren bzw. sind:

8.1 Neben Walter Schulz vor allem Wilhelm Weischedel ("Denken und Glauben" im Dialog mit H. Gollwitzer, Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus, Der Gott der Philosophen)

8.2 Günter Rohrmoser ( Emanzipation und Freiheit u.a.)

8.3 Robert Spaemann (mehrere Schriften aus spezifisch katholischer Sicht)

8.4 Michael Theunissen (zu Kierkegaard, Hegel u.a.)

8.5 Vittorio Hösle (God as Reason)

8.6 mit einem gewissen Zögern kann man auch Dieter Henrich nennen, wenn man an die gemeinsam mit Pannenberg gehaltenen Seminare in München (und sein Buch über den ontologischen Gottesbeweis) denkt.

 

9. Im Einflußbereich der Frankfurter Schule sind theologische Probleme nur am Rande diskutiert worden. Am ehesten konnten hier sozialkritische oder revolutionäre Theologien (Theologie der Befreiung) eine gewisse Resonanz finden. Erst der späte Horkheimer kam wieder auf die theologischen Motive seiner intellektuellen Existenz zurück, während Adorno jedes Ganzheitsdenken als falsch und durch die Geschichte (Auschwitz) dementiert ablehnte.

 

Wolfgang Massalsky, 27. 4. 2014