Die Versuchung Abrahams

           Die Beinahe-Opferung Isaaks

           im Spiegel der drei Weltreligionen

 

In 1. Mose 22 wird uns berichtet, daß Gott von Abraham verlangte, ihm seinen Sohn Isaak zu opfern. Was man aus heutiger Sicht für völlig unmöglich hält, Abraham tut, was Gott ihm befiehlt und macht sich mit seinem Sohn und zwei Knechten sowie den entsprechenden Opfer-Materialien auf den  Weg. In der Nähe des Ortes, wo das Opfer stattfinden sollte, packt Abraham die Sachen aus, die er zur Errichtung des Opferaltares braucht. Hier endet der erste Akt (Auftrag und Reise bis ans Ziel).

Der zweite Akt bringt den dramatischen Höhepunkt und das überraschende Ergebnis.

Das letzte Wegstück bis zu dem Platz, wo der Altar aufgebaut werden soll, geht Abraham allein mit seinem Sohn. Während sie die zum Opfern benötigten Gegenstände jetzt selber tragen, stellt Isaak fest, daß sie alles bis auf das Opfertier dabei haben. Darum fragt er den Vater, wo dieses Tier sei. Dieser beruhigt ihn mit der Versicherung, Gott werde sich schon rechtzeitig ein passendes Opfertier „ersehen“. Aber nachdem der Altar aufgebaut ist, geht Abraham sehr direkt „zur Sache“. Er schaut sich gar nicht erst nach einem solchen Tier um, bindet Isaak auf dem Holzstoß fest, greift zum Schlachtmesser und will ihn sofort töten. Kein Wort fällt. Kein Gebet. Nichts. Isaak liegt da wie ein stummes Schlachtschaf[1]. (Unglaublich, daß er das alles ohne jede Gegenwehr über sich ergehen läßt!) Gleich wird es vorbei sein, denken wir. Doch im letzten Moment, kurz bevor Abraham zusticht, greift Gott ein und bricht das Ganze ab.

Was bezweckte der biblische Erzähler mit dieser aufwühlenden, hochdramatischen Handlung ?

Der Rest der Geschichte verrät: Hauptsächlich ging es um Abraham. Es mußte geprüft werden, ob er diesem Gott aufs Wort gehorcht und ihm alles andere unterordnen kann. Denn erst das ist im Sinne dieses Erzählers echter, unerschütterlicher Glaube.

Für den Endredaktor geht diese Geschichte also nicht nur zufällig „gut“ aus, weil Gott sich tatsächlich ein Opfertier „ausersehen“ hatte, sondern weil er „sieht“, daß Abraham zu allem bereit ist, sogar dazu, den eigenen Sohn auf dem Altar der Verheißung zu opfern. Mehr will Gott nicht, als daß dem biblischen Leser vor Augen geführt wird, daß die Verheißung Gottes von den Verheißungsträgern größte, ja unmenschliche Opfer abverlangen kann.

Unsere christlichen Ausleger sagen uns darüber hinaus, daß diese Geschichte beweisen will, daß ab jetzt kein Mensch mehr als Opfergabe für Gott geschlachtet werden darf, auch wenn es vorher erlaubt, ja geboten war. Mit Abrahams Einzug in Kanaan beginnt also auch dort eine neue Ära, das Zeitalter des humanen Gottes.

Dabei ist vorausgesetzt, daß ein ursprünglich aus dem „heidnischen“ Kanaan[2] stammender Erzählkern aufgrund der den Menschen inzwischen zuteil gewordenen Würdestellung als Ebenbild Gottes (Gen 1, 27) verändert und umgedeutet wurde.

Hätte es ursprünglich geheißen, daß jemand seinen erstgeborenen Sohn, wie es das Gesetz (des Gottes xyz) befahl, geopfert hat, um Gott zu gefallen, so hat der biblische Erzähler mit der Neufassung dieser Geschichte und ihrer Übertragung auf Abraham und Isaak demonstriert, daß der Gott Abrahams diese in Israels Umwelt früher praktizierte Opferform ablehnt.

Andererseits ist ein Sohn immer auch Gottes Geschenk und nicht das Eigentum des Vaters, der damit machen kann, was er will. Und was Gott „gegeben“ hat, das kann er auch wieder „nehmen“, allerdings nur er. Weil der Befehl dazu für Abraham eindeutig von Gott kommt, kann er sich diesem so schrecklichen Geschehen nicht entziehen. Isaak ist zwar der Sohn der Verheißung, die Gott Abraham gegeben hat, um ihm zahlreiche Nachkommenschaft und eigenes Land zu verschaffen sowie durch ihn die Völker zu segnen. Aber sie wird nicht durch den Sohn verwirklicht, sondern allein durch Gott. Darum kann man auch nicht sagen, daß Gott hier von Abraham etwas Unmögliches fordert oder daß diese Forderung uns einen sehr zwiespältigen Gott (Deus absconditus) offenbart, weil er anscheinend seine eigene Verheißung  zu annullieren bereit ist.

Kritisch mag man sich wünschen, daß Abraham menschenfreundlicher und väterlicher, dem Sohn zugewandter gezeichnet worden wäre. Auch ein unbedingter Gehorsam gibt niemandem das Recht unmenschlich zu handeln. Darf man nicht auch mit Gott streiten, wenn er uns eine über unsere Kräfte gehende Aufgabe stellt? Muß Gott nicht wenigstens Unschuldigen gegenüber Milde walten lassen? Isaak kann uns angesichts dieser ihm gegenüber rücksichtslosen Härte Gottes (und Abrahams) menschlich gesprochen nur leid tun. Doch davon ist im Text nichts zu spüren. Warum haben da spätere Erzähler nicht „nachgebessert“? Da es leicht gewesen wäre, dies zu tun, muß man annehmen, daß sie dies nicht wollten, weil es für Abraham letztlich keine Alternative gab, als zu tun, was Gott befahl, und eine  Auseinandersetzung mit Gott hätte nur bedeutet, den Schrecken in die Länge zu ziehen. Auch wir haben sicher schon erlebt, daß in bestimmten, existenziell entscheidenden Situationen unseres Lebens Glauben eben Handeln heißt,  unerschrockenes, konsequentes Handeln, auch wenn es weh tut. Oder hätte Abraham in dieser für sein ganzes Leben fundamentalen Frage, wie es mit der Verheißung weitergeht, an Gottes Wort zweifeln sollen?

Vielleicht darf man immerhin das lange Schweigen Abrahams während der ganzen Reise so deuten, daß ihm sein Gehorsam nicht leicht fiel, ja daß ihm das unverständliche, geradezu ungeheuerliche Ansinnen Gottes die Sprache verschlagen hatte, denn er wußte ja nicht (was wir durch die Bibellektüre von Anfang an wissen), daß es sich bei dem Ganzen nur um eine  „theoretische“ Prüfung handelte.  Für ihn war es tödlicher Ernst. Mehr noch: Wenn es dabei blieb und Gott tatsächlich den Tod seines Sohnes wollte, dann war alles mit diesem Sohn verbundene Hoffen umsonst gewesen. Und der Traum von einer ganz neuen Welt unter den Leitsternen eines ganz anderen Gottes (als die „Götzen“ Kanaans und die Götter der Großmächte) mit einer eigenen Sippe als Grundstock war ausgeträumt, noch bevor Abraham diesen Ort der Versuchung wieder verlassen hatte [3].

Deshalb halte ich es für wahrscheinlich, daß Abraham in seiner Ohnmacht bis zuletzt gehofft hat, daß dieser Alptraum, der sich von seinen Gefühlen her immer bedrohlicher dem unausweichlichen Ende nähern mußte, nicht wahr wäre und daß ihm erspart bliebe, diesen ihm von Gott eingeschenkten Kelch bis zum letzten Tropfen auszutrinken, obwohl es auf dem Höhepunkt des Geschehens nicht mehr danach aussah, daß es noch eine Wende gäbe. 

Jüdisch-rabbinische Auslegung (im Talmud und in den Thora-Auslegungen) prägt dem jüdischen Leser der Bibel vor allem eins ein, daß Gott (JHWH) nicht zu etwas Bösem versuchen könne. Der Versucher, der am Anfang auftritt, heiße nicht zufällig „Ha-Elohim“, sondern absichtlich so, um ihn von dem Engel Gottes (malach JHWH), dessen Eingreifen die Rettung Isaaks bewirkt, unterscheiden zu können. Für christliche Übersetzer besteht allerdings hier kein wesentlicher Unterschied. Beide Begriffe stehen für Gott. Wenn im ersten Fall bloß von einem satanischen Wesen die Rede wäre, so wäre die Geschichte sehr eindimensional angelegt. Dann würde außerdem schon an dieser Stelle ein Dualismus zweier Prinzipien herrschen, wie er sich im Glauben Israels erst in der Spätzeit des biblischen Judentums, unter apokalyptischem Einfluß, bemerkbar machte. Der rettende Gott verhinderte dann (durch seinen Engel), daß das Werk des Bösen gelingt. Für Juden handelt es sich also hier um zwei verschiedene Gottes-„Wesen“, die rein linguistisch nur verschiedene Namen für denselben Gott sind. Für uns ist dieses Auseinanderreißen Gottes unnötig. Auch wenn man verstehen kann, daß man auf jüdischer Seite nicht gern den Vorwurf hörte, daß der Ahnvater Israels, der seine alte Heimat (Ur) aufgab, um nach den Vorgaben „seines“ Gottes in der neuen Heimat (Kanaan) zu leben, in blindem Gehorsam gegen Gott zu solcher Grausamkeit fähig gewesen sei.

Zuletzt sei noch kurz das Verständnis dieser Geschichte im Kor-an wiedergegeben. Auffällig ist hier (Sure 37,Verse 101ff), daß unter Beibehaltung des äußeren Handlungsschemas die Geschichte der beinahen Opferung Isaaks ganz neu erzählt wird, wobei es nur auf den (im Traum ergangenen) Befehl und die (sofortige) Ausführung ankommt, sowie auf die Intervention Gottes (Allah) und die Stiftung des (islamischen) Opferfestes. Interessant ist, daß hier Isaak von Abraham ausdrücklich gefragt wird, wie er zu diesem Auftrag steht. Und der ist bereit, sich als „Standhafter“ für Gott zu opfern, weil (und wenn) es so von ihm verlangt wird. Dazu kommt es aber nicht, weil Gott eingreift und weil mit dem neu geschaffenen Opferfest es einen Ersatz für Menschenopfer gibt. Daß Abraham seinen Sohn schlachten wollte, wird genauso wenig wie in der Bibel problematisiert. Doch da es sich für den Kor-an erkennbar nur um eine Prüfung (V. 108) handelte, hat dies sein Ansehen dort nicht geschmälert. Interessant ist ferner, daß bei dem Opferkandidaten im jetzigen Text an Ismael gedacht wurde, obwohl sein Name nicht genannt wird, denn er ist formal der Erstgeborene, und von Isaak ist erst später die Rede (siehe die Ankündigung seiner Geburt in V.113).

 

Alles in allem lassen sich verschiedene Tendenzen in der Auslegung der Religionen erkennen: Im Unterschied zur Bibel entdramatisiert der Kor-an diese Versuchungs-Geschichte um Abraham, während die christliche Auslegung (bes. im Luthertum) sie gern mystifiziert. Im Judentum herrscht eine an ethischen Grundsätzen orientierte Auffassung vor.

 

Wolfgang Massalsky, 27. 8. 2013

Literaturhinweise:

Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose, 1967 (8. Auflage), S. 203-209

Diethelm Michel, Überlieferung und Deutung in der Erzählung von Isaaks Opferung (Gen 22) in: Treue zur Thora, FS Günter Harder zum 75. Geburtstag, 1977, S. 13ff.

Hartmut Löwe, Das Opfer des Abraham in Bibel und Koran, in: Quatember 76/3 (2012), S. 176-183

 



[1]        Darum konnte diese Geschichte von den frühen Christen im Zusammenhang mit anderen Parallelen sogar als eine Vorwegnahme des Geschehens auf Golgatha aufgefaßt werden.

[2]          wo ein menschenfressender „Moloch“ existiert haben soll

[3]        So paradox es klingen mag, in dieser Versuchungsgeschichte wird tatsächlich vorweggenommen, was am Kreuz Jesu nicht nur  versuchsweise „probiert“, sondern ganz real zugelassen wird: der Tod des „Sohnes“, und zwar hier des Gottessohnes. Außerdem – welche Dramatik liegt in dieser Szenerie im Vergleich mit den relativ statischen Versuchungsbemühungen des Satans in Matth. 4.