Beichte

Einstieg in das Gespräch über die Beichtansprache von G. S. (N’au 2012, Michaelsfest)

 

I. Allgemeine Vorüberlegungen zum Thema Beichte [1]

 

1.    Was ist Beichte? Nach Luther die Aneignung der Taufgnade als lebenslänglicher Prozeß.

Siehe dazu Luthers Kleinen Katechismus:

Was bedeutet denn solch Wassertaufen?
Es bedeutet, daß der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.

Wo steht das geschrieben?

Der Apostel Paulus spricht zu den Römern im sechsten Kapitel: "Wir sind mit Christus begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln."

 

2.    Taufe --> Buße (Beichte)

Taufe bedeutet nach Röm 6, 3-11 und Kol 2, 11-14: der Sünde gestorben, ja gekreuzigt sein und mit ihm, Christus, in dessen Geist, als neue „Kreatur“ leben (2. Kor 5, 17), nämlich in der Hoffnung auf das Auferstehungsleben Jesu.

Ursprünglich gab es keine Notwendigkeit zur Beichte, denn die Taufe war als eine Art Generalamnestie verstanden worden und bedeutete, als nunmehr Getaufte und ins Reich Jesu Christi Versetzte in dessen Licht zu leben. Nur die zahlreichen Rückfälle vieler Christen in das Heidentum durch Verleugnung des Glaubens (in der Zeit röm. Christenverfolgungen bes.  unter Decius und  Diocletian und unter Julians staatlich verordnetem Heidentum) zwangen dazu, das Institut der Beichte als Möglichkeit  einer erneuten Sündenvergebung einzuführen. Dabei schuf man als dogmatische  Hilfskonstruktion die Unterscheidung  zwischen Erbsünde und Tatsünde: die „Erbsünde“ bleibt durch die Taufe vergeben, die „Tatsünden“ müssen und können durch die Beichte immer wieder neu vergeben werden.

Von daher hat die christliche Beichte bis heute eine Doppelausrichtung: einerseits Vergebung der Sünden im Vertrauen auf den liebenden Gott (in Jesus Christus), andererseits die Eröffnung eines neuen Weges zurück ins Leben der Gemeinde und des Heilsglaubens.

3.    Welche Texte [2] eignen sich als Grundlage für die (christliche) Beichtfeier?

4.    Geeignete jüdische Anlässe mit vergleichbaren Texten 

sind der jüdische Versöhnungstag oder Fastentage (siehe 3. Mose 16, 29 ff.), in denen es um die Klärung und Erneuerung des Verhältnisses zu Gott geht.

 

II. Sch’ma Israel

Als biblischen Grundtext für die Beichtfeier wählte S. das Sch’ma Israel (Dtn 6, 4-9), genauer gesagt nur dessen ersten Vers [3].

 Zunächst erscheint dieses genuin jüdische, auf Lehre, Aneignung und Weitergabe der Grundaussage des alttestamentlichen Glaubens [4] bezogene Wort der Bibel etwas befremdlich (zumal in S.s gewagter Übersetzung: elohim = Götter statt Gott!):

1.    weil das Sch’ma Israel der jüdischen Gemeinde vor dem Besetzen des (fremden) Landes Kanaan das oberste und wichtigste Gebot [5] des Volkes Israel in pädagogisch eindringlicher Sprache einschärft, in einer Sprache also, die die des Vaters mit seinem Kinde ist (der es zum rechten Verhalten in der fremden Umwelt erziehen will);

2.    weil die Strenge seiner Ausrichtung auf Gott (Jahwe) nichts von der Vergebungsbereitschaft Gottes erkennen läßt, die es dem Sünder überhaupt erst ermöglicht, die eigenen „Fehler“ (Sünden) umfassend zu bekennen und zu bereuen und dafür Gottes Vergebung zu erbitten;

3.    weil das Sch’ma Israel einen offensiven  Monotheismus zum Ausdruck bringt und keine anderen Mächte gelten lässt, auf  die Israel in Kanaan noch Rücksicht zu nehmen hätte; [6]

4.    stellt sich die Frage, ob vielleicht hinter der Wahl dieses Textes die Vorstellung steht, dass wir die zentralen alttestamentlichen  Glaubenstexte jederzeit in unserer Interpretation auf unsere eigenen christlichen Lebenssituationen  anwenden dürfen.

Unklar ist in dem Zusammenhang, wer das „wahre Israel“ verkörpert:  die Christenheit oder die Frommen Israels, die das erste Gebot in der Fremde strikt befolgen werden? [7]

 

III. Der Anspruch Gottes auf unser Leben

Gleichwohl ist davon auszugehen, dass G. S. diesen Text bewusst gewählt hat, um uns mit dem vor Gott versammelten Israel zu konfrontieren, mit seinem Glauben und mit seinem Unglauben, und dass er uns dazu bewegen will, dem ewigen Gott ins Gesicht zu schauen: ob wir Gottes Anblick aushalten können?!

So kann uns S. in der Beichtfeier sehr direkt auf den Anspruch Gottes auf unseren Gehorsam einschwören.

Freilich wird die im Sch’ma enthaltene Mahnung, sich als Einwanderer nicht mit der multireligiösen Gesellschaft in Kanaan, dem Gelobten Land jener Zeit, einzulassen, von  S. insofern in das Gegenteil verkehrt, als er die  vorhandene multireligiöse Gesellschaft (im heutigen  Westeuropa) als Aufforderung an uns versteht, das Zusammenleben von Juden, Christen und  Muslimen friedlich zu organisieren. [8]

Auch wird  der Einheitsgedanke (Gott ist einer) von S. – entgegen der Aussageintention des Sch’ma – im Sinne eines  Friedensgebotes[9] an die Adresse der Beichtenden ausgelegt. [10] Soll heißen: Tut alles, um zu zeigen, dass unser Umgang mit den Gestrandeten, Fremden, Nichtangepassten oder noch nicht Integrierten vorbildlich sein kann für die gesamte Gesellschaft. 

Wie das Verhältnis von Einheit und Dreieinigkeit  Gottes zu bestimmen ist, spielt weder bei S. noch bei Stählin eine besondere Rolle, obwohl Dtn 6, 4-13 zur Zeit Stählins ein (möglicher) Predigttext zum Trinitatisfest war. Diese Entscheidung ist im Prinzip richtig, obwohl man am Trinitatissonntag sehr wohl erwarten kann darauf einzugehen, warum die Dreieinigkeit Gottes kein Widerspruch zum strengen Monotheismus  ist, obwohl das vom Islam gegenüber Christen immer wieder behauptet wurde und wird. Natürlich kann das kein Haupt-Thema sein, wenn dieser Text für eine Beichtfeier herangezogen wird. Aber zu sagen, „Juden und Moslems und Christen treffen sich in dem Bekenntnis zur Wirklichkeit – und d.h. zur sich erweisenden Wirklichkeit, zur wirkenden Wirklichkeit – des Herrn“ (65), heißt doch wohl im Klartext, wir können von Gott, dem Herrn, auch so reden, dass wir seine  Dreieinigkeit beiseite lassen. Welchen Gott meint S. eigentlich? Den Gott remoto Christo, den um Christus subtrahierten Gott?

Ein Letztes: Die Liebe zu dem Gott Israels als die bleibende Voraussetzung  eines selbstbewussten In-Besitz-Nehmens des Israel von Gott versprochenen Landes hätte vielleicht ebenfalls von S. stärker unterstrichen werden müssen, zumal Jesus seine Antwort auf die Frage nach dem höchsten oder größten Gebot in Mk12, 28ff. im Zusammenhang mit der Liebe zu  Gott aus dem Sch’ma Israel ableitet. Das sog. Doppelgebot der Liebe  (Gott und den Nächsten lieben) kann sich jedoch nicht im  vollen Sinne auf das Sch’ma berufen. Denn gerade der zweite Teil dieses Gebotes (die Liebe zum Nächsten) kommt im Sch’ma Israel aus verständlichen Gründen (siehe oben) nicht vor.

 

IV. Die religiöse Mischgesellschaft  mit ihren verschiedenen „Göttern“

S.s These:

„Wir leben weder in einer monotheistischen noch eigentlich in einer atheistischen, sondern in einer polytheistischen Gesellschaft, nur, dass die Götternamen entweder weithin vergessen oder nicht mehr als eben Götternamen bewusst sind und sich hinter dem Schamtuch des theoretischen oder praktischen Atheismus oder auch der Gottesvergessenheit, der Gottesindifferenz – ob in religiöser Toleranz oder Intoleranz – kaschieren.“ (65)

Unter anderem betont er[11], dass die Neben-Götter Jahwes heute aus dem Leben selbst und dem falschen Lebensstil der Menschen hervorgehen. So spricht er vom Gott der Macht, vom Gott der Sexualität[12] und vom Gott der Drogen und ähnlichen „Göttern“.

Der Gott Israels habe neben sich Platz für andere "Götter" gelassen, die wir freilich nicht  durch Gewalt oder durch Verdrängung[13] absetzen sollen, sondern nur durch friedliche Überwindung unter Kontrolle halten können, d.h. einerseits durch eine verstärkte Hingabe an den Gott des Friedens, der uns in Jesus  erschienen ist, und andererseits durch die Erkenntnis, dass auch sie bzw. die von ihnen personifizierten Kräfte Teil der schöpferischen Macht Gottes sind.

 

V. Welche Art von Sünden wird durch diese Gesellschaft produziert und wie haben wir als Christen im Sinne der Beichtansprache S.s darauf zu reagieren?

Offenbar hat nach S. der Mensch  seine Mitte verloren durch die die Gesellschaft bestimmenden Kräfte, die ihn zerreißen. Deswegen verselbständigen sich auch seine Lebenskräfte, machen ihm ein geordnetes Leben unmöglich, wenn er nicht zur Selbstkorrektur  bereit und fähig ist.

Dazu soll die Beichtfeier dienen, dem Menschen zu helfen, die Erneuerung des eigenen Lebens in Gang zu setzen, d.h. das eigene Leben mit all seinen (aus den Fugen geratenen) Kräften Gott neu zu unterstellen[14].

Gott ist der „Meister“, der „Herr“[15], dem alle Mächte und Gewalten von Anbeginn der Schöpfung unterstellt sind. Ihm sollen wir sie auch heute unterstellt sein lassen (vgl. Röm 8, 18ff. und bes. V. 38).

Aber auch Gott kann missbraucht werden, die Kirchengeschichte und der heutige Islam zeigten das zur Genüge.  Seine Überlegungen kristallisieren sich in folgenden Begriffen:

-         "Dämon" des Absolutismus oder des Exklusivismus (66f.)

-         Verdrängung

-         Lebenstrieb, Todestrieb,

-         der „tödliche“ Gott.

-          „Prinzip Gott“,

-         der Gott der Konfrontationen,

-         der Gott der Religionskriege (vgl. crash [statt clash?] der Zivilisationen)

-         „perverser“ Gott

-         nicht Drachentöter, sondern Drachenüberwinder (67)

 

Der neue Gott muß ein Gott des Friedens  sein, eines Friedens, der sich von der Einheit Gottes (s.o.) herleitet (67).

Von diesem Einheitsgedanken ist auch das Glaubensverständnis S.s inspiriert: „Unser Glaube an Gott, der täglich neue Glaubensvollzug, ist der unser Leben lang anhaltende Werdegang solchen Einswerdens.“ (68)

Mit dieser Kraft der Einigung können aber auch alle gesellschaftlichen Streitfragen einer Lösung zugeführt werden, mindestens aber die Gegensätze gemildert werden, statt sie durch Uneinsichtigkeit zu verschlimmern. 

Das Ergebnis dieser Einigungs-Bemühungen könnte sein:

Macht (meint nicht nur Politik, sondern auch Wirtschaft und Geld) wird zu Dienst; Sexualität wird von ihren Perversionen befreit. Die durch Drogen künstlich herbeigeführte Schein-Ekstase (gemeint ist anscheinend jede Form von Fanatismus: Rechthaberei, Egoismus, Dummheit, Unversöhnlichkeit) soll ebenfalls irgendwie überwunden werden. Alle diese falschen Götter sollen in Christus ihren „Meister“ finden und gezähmt werden (vgl.  „geistlicher Kampf“, S. 66)

Konkret bedeutet das für uns persönlich:

-         Solidarität mit den am Rande Stehenden hier und anderswo (64) sowie Lebensräume schaffen, die Verheißung haben...

-         Aus dem ganzen Gedankengang ergibt sich zweierlei: 1. sich der eigenen Berufung zu  „Israel“ bewusst sein oder werden, 2. „Drachenüberwinder“ sein bzw. werden.


VI. Kritik

1. Überfliegt man noch einmal sein Vorgehen, so ergibt sich folgende inhaltliche Gliederung:

1)    Wer ist mit „Israel“ angesprochen? (Siehe dazu Anm. 7)

Der gebrochene, hörwillige, Gottes Segen erbittende Mensch (vgl. Jakob / Israel)

2)    Was bedeutet Gottes Herren-Name jenseits alles Missbrauchs seines Namens?

Er ist „wirksam und gegenwärtig“: als „Gott in seinem Sohn durch den Heiligen Geist“. Aber gerade von dieser Dreieinigkeit abstrahiert S. zugunsten der Möglichkeit eines relativ unkonkreten  „Wirkens“ Gottes. Offenbar geht es ihm darum, die Weichen in der Gotteslehre neu zu stellen: Der christlich verstandene Gott darf sich nicht länger absolut und exklusiv setzen. Leistet S. damit dem latenten  Polytheismus in unseren Gesellschaften Vorschub? Haben die verschiedenen Religionen einen je anderen Gott, den sie als einzigen Gott anbeten? Oder beten sie den einen Gott nur auf je verschiedene Weise an?

Wie kann man diesen Gott erfahren? Im Kämmerlein?! Durch Gebet, Beichte,  durch Gewissen und Selbstprüfung, durch das Tun dessen, was dieser Gott getan haben will.

3)    „Unser Gott“:

Der Herr ist unser Gott und zugleich soll er als unser Gott in uns zum Durchbruch kommen. Andererseits behauptet S., der hebräische Begriff für Gott könne auch den Plural „Götter“ bezeichnen. Was er damit sagen will, wird im folgenden klar.

4)    „Unsere Götter“ I:

Macht, Sexualität, Drogen; der gesellschaftliche Polytheismus; der hohe Preis für falsches Leben...

5)    „Unsere Götter“ II:

Diese gesellschaftlichen „Götter“ sollen nicht geleugnet werden, sondern dem „Herrn“ unterstellt werden (dem christlichen, jüdischen, muslimischen Gott?) So sollen jene „Götter“ ihre „dämonische Destruktivität“ verlieren.

Der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs – ist er der Gott der abrahamitischen Religionen?

6)    Der Herr, unsere Götter, der eine Herr (die Einheit Gottes)

Wie werden wir die vielen Götter unserer Leidenschaften und Extremismen los? Nicht mit Gewalt, nur friedlich! Nicht durch Verdrängung von ihrer Macht, sondern durch die Unterstellung ihrer Macht unter die Macht des „einen Herrn“. Er ist der „Drachenüberwinder“, nicht der „Drachentöter“.

Nicht „Einzigkeit“ (obwohl das Sch’ma den „einen“ Gott so verstanden hat), sondern „Einheit, Einigkeit“ (67). Gott ist die „kämpferische Kraft“ des Friedens. Auch unsere problematischen "Gaben", die wir nicht wahrhaben wollen,  sollen wir annehmen. Indem wir sie Gott „unterstellen“,  verlieren sie ihren destruktiven Charakter. [Aber ist es wirklich so einfach? Außerdem: Hat Gott nicht am Kreuz die gottfeindlichen Mächte bereits entmachtet?]

G. S. versteht „Gottes Einheit oder Einigkeit" in erster Linie als "Garant für unser Einswerden“(67f.) – in allen unseren Lebensbereichen. Ich soll die „Götter in mir und um mich herum“ durch den Herrn „immer neu überwinden“ lassen, derart, dass sie, die ohne den Herrn Dämonen sind, zu Engeln werden“, „Diener des Sich-Erfüllens meines Lebens“ und des Lebens aller anderen (68).

 

So eindrucksvoll der Vortrag dieser Beichtrede war, wenn man sie live hörte, so problematisch erweisen sich dann doch bei genauerer Analyse des Textes die Unklarheiten in der Gottesfrage:

-         welcher Gott ist gemeint? Wie stehen Judentum und Islam zu der Theorie der Unterstellung der destruktiven Mächte unter Gott? Wieviel tragen die Religionen selbst zur Vermehrung der Gewalt durch den Kampf um Gottes Absolutheit bei, die sich doch gerade aus dem Begriff der Einheit (=Einzigkeit) Gottes ergibt?

-         Woher kommen die gesellschaftlichen „Götter“, was ist ihr Ursprung, ihre Brutstätte? Wie kommt S. zu dieser Vorstellung? Eine psychologische Theorie?

 

2. Zum Teil handelt es sich bei dieser Beichtansprache also um eine Rede über die vielen verschiedenen „Götter“, die uns in unserer Gesellschaft beherrschen, von denen wir uns dennoch nicht beherrschen lassen müssen, wenn wir sie dem lebendigen Gott, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs „unterstellen“.

Ich sehe an dieser Stelle darüber hinweg, dass man bei diesen Phänomenen von Göttern im religiösen Sinne nur sprechen kann, wenn sich auch eine Anhängerschaft im kultischen Sinn um sie geschart hat. Weil das bisher nicht geschehen ist, daher handelt es sich auch gar nicht um Götter, wie S. behauptet, sondern um gesellschaftliche Lebenseinstellungen und Lebensstile, die einzelne Menschen dermaßen im Griff haben, wie man das sonst nur bei (manchen) religiösen Gemeinschaften erleben kann. 

In der Tat bieten die Gesellschaften des Westens für Außenstehende oft das Bild einer ziemlich dekadenten Lebensweise, in der es nur um Politik (Macht), Sex  (als hauptsächliches kommunikatives Bindeglied zwischen den Geschlechtern, vgl. Spielwiese Sexualität) und Drogen (Alkohol, Ecstasy u.a.), aber auch Sport ("König" Fußball) geht. Letzteres ist für S. jedoch kein Thema. Wie überhaupt auffällig ist, dass S. sehr pauschal über unsere Gesellschaft spricht. Aber bildet diese Darstellung die ganze westliche Gesellschaft ab?

Macht,  Sex, Drogen (Süchte), sind sie nicht schon immer zu den Versuchungen gezählt worden, die die Beichtspiegel durch die Jahrhunderte hindurch den Menschen der verschiedenen Klassen und Generationen vorgehalten haben, um sie zur Umkehr zu veranlassen?

Aber wen will S. damit treffen? Wer unter den Michaelsbrüdern muß von diesen „Göttern“ befreit werden?

Für meine Begriffe war das die falsche Einstimmung auf die bevorstehende Beichtfeier. Statt einer irregulären religiösen Aufladung gewöhnlicher menschlicher Verhaltensweisen, um sie für den „Abschuß“ freizugeben, hätte es genügt, darauf hinzuweisen, dass ihre Macht im persönlichen Leben nicht zu unterschätzen ist.

Weil sie eben keine Götter sind, sondern Triebkräfte,  die mehr oder weniger stark in uns Menschen angelegt sind und, je nachdem wie sehr wir unter der Unerfülltheit unseres Lebens leiden, unser Leben in der einen oder anderen Form bestimmen, aber auch unterdrücken können, darum  bedürfen sie der ständigen  Zivilisierung und Kultivierung, damit sie nicht unseren eigenen und den Lebensraum  unserer Nächsten einengen, ja zerstören. 

Das wiederum ist allerdings tatsächlich unsere lebenslange Aufgabe, solange wir ein gewisses Maß an Autonomie über unser Leben besitzen. Dazu kann uns der Glaube die Augen öffnen und Kraft und Geduld schenken.

Es ist  m. E. ein Zeichen großer theologischer Verwirrung, wenn diese Kräfte plötzlich als Götter hingestellt werden, von denen wir uns befreien müssten.

Daß sie das nicht sind, erkennt man u.a. auch bei S. Denn er verlangt ja auch gar nicht Befreiung von ihnen, wie es biblisch nötig wäre, wenn man das 1. Gebot ernst nimmt, sondern dass man sie gelten lässt, indem man sie dem „Haupt“ Christus unterstellt bzw. unterstellt sein lässt, sie also als verirrte, ihrer Ordnung verlustig gegangene Lebenskräfte in das Gesamtgeschehen Mensch neu integriert.

Dazu kann die Beichte sich durchaus einer herausfordernden Sprache bedienen, um  im Hörer Anreize zu schaffen, damit er etwas  gegen das unkontrollierte Dahintreiben auf dem Meer der Triebe unternimmt. Aber auf eine Vergöttlichung solch kritikwürdiger Verhaltensweisen sollte man unbedingt verzichten.

Die uns in Christus täglich neu angebotene Wiederherstellung unseres zerrütteten Verhältnisses zu Gott sollte genügend Kräfte mobilisieren, um uns nach und nach von diesen Verhaltensweisen trennen zu können.

Wer uns  zu einer menschlich ausgewogenen, sachlich hilfreichen Lösung der realen Lebensprobleme animieren will, sollte sie keinesfalls vorher religiös aufheizen! Es muß ausreichen, uns in der Beichte erneut auf das Zentrum der Versöhnung von Gott und Mensch aufmerksam zu machen, und das ist Jesus Christus, der für uns am Kreuz gestorben ist. Im Glauben an ihn haben wir Hoffnung, dass Gott uns unsere Sünden vergibt und ein neues Leben schenkt, ein Leben in der Liebe zum Nächsten.

Wolfgang Massalsky,

für den Teilkonvent der Michaelsbruderschaft, Alt-Lietzow am 26.4.2013

 eingestellt am 3. 5. 2013

Quelle: Gesamt-Michaelsfest Neuendettelsau 10.-15. Oktober 2012, S. 63-68 (interne Bruderschaftsveröffentlichung) o. J. (2013)


 

[1]  Das Thema Beichte wird im öffentlichen Raum heute nur selten angesprochen. Die Preisgabe von vertraulichem Wissen ist noch keine Beichte. Auch die unter dem Druck einer politisch alarmierten Öffentlichkeit (durch die  Debatte über Steuer- oder Dopingsünder) in der letzten Zeit zustande gekommenen öffentlichen Beichten  -  so spricht der  Berl. Tsp. vom 25. 4. 13 im Sportteil von der  „Steuerhinterziehungs-Beichte“  mit Bezug auf den „Bayern“-Präsidenten U. Hoeness und von der „Doping-Beichte“ Lance Armstrongs, in den 60 und 70er Jahren bekannten sich viele Frauen ähnlich demonstrativ zur Abtreibung („ich habe abgetrieben“) – dienen in der Regel nicht der Erleichterung des angefochtenen Gewissens, sondern  sollen helfen, bevorstehende Strafverfahren zu verhindern oder größeren Imageschaden abzufangen. Mitunter wird einem der Mut dazu sogar positiv angerechnet.  Der (juristische) Umgang mit solchen „Sündern“ hängt nicht selten davon ab, wie viel Sympathie den Betreffenden  in der Öffentlichkeit entgegengebracht wird und wie der Fall gelagert ist.

[2]  z.B. Kommet her zu mir, Mt 11, 28 = der Thorwaldsen-Christus, Vater vergib ihnen Luk 23, 34; Rückkehr des verlorenen Sohns 15, 18f.; Pharisäer und Zöllner 18, 9ff. usw.; ferner die Psalmen 51, 130 u.a

[3]  so dass die Beichtgemeinde die Art und Weise, wie das Sch’ma Israel in den Folgeversen von Gott spricht, gar nicht mitbekommt.

[4]  Oft wird das Sch'ma Israel auch als jüdisches „Glaubensbekenntnis“ bezeichnet, obwohl es eher den Charakter einer religiösen Unterweisung zum 1. Gebot hat. Streng genommen gibt es im Judentum nichts dem christlichen Credo Entsprechendes. Das sog. kleine Credo, anhand dessen G. v. Rad die ursprüngliche Konzeption eines Hexateuch rekonstruierte, ist ein Summarium der wichtigsten heilsgeschichtlichen Stationen des Volkes Israel bis zum Einzug ins Gelobte Land –  offenbar für kultische Zwecke verfaßt, während z. B. das Apostolikum alles Geschichtliche weglässt und den christlichen Glauben im wesentlichen auf die auf Soteriologie, Eschatologie und Ekklesiologie ausgerichtete Gotteslehre konzentriert.

[5] mitsamt den daraus zu ziehenden (ethischen) Folgerungen

[6]  während S. keinen gewaltsamen Kampf gegen die dem Glauben negativ entgegenstehenden Kräfte will, sondern ihre Heilung durch bzw. Unterstellung unter das „Haupt“ Christus (recapitulatio bei Irenäus)

[7] So heißt es einerseits: “das wahre Israel (gibt) … es im Volk Israel,“ egal „ob im Land Israel oder in der Diaspora der Juden“ (63), andererseits ist „Israel der exemplarische Name für den gebrochenen und den in diesem Gebrochensein zum Hören begnadeten, befähigten, zubereiteten Menschen“ (ib). Ist das nicht auch der Christ? Ja, in der Tat: auch „Christen und Nichtchristen  aus allen Horizonten, Kulturen und Religionen“ (64), „Israel, das sind sie alle…“ (ib). 

[8]  Das darin liegende  Gefährdungspotential für die verschiedenen Religionen wird von S. nicht gesehen:  1. ein mögliches Gegeneinander wegen unterschiedlicher Wahrheitsauffassungen oder aus Angst vor Bedeutungsverlust und 2.  ihre gemeinsame Säkulariserung durch den religionsneutralen Staat, der nur „domestizierte“ Religionen akzeptieren kann…Dagegen hatte W. Stählin in Predigthilfen III, S. 80ff. die Tendenz des Sch’ma hervorgehoben, den „Gegensatz“  des dort vorherrschenden  Monotheismus  gegen andere Götter, aber auch den Gegensatz gegen jede „Halbheit“ und „Lauheit“ unseres eigenen, hinter dem 1. Gebot  zurückbleibenden Glaubens zu betonen.

[9]  und das ausdrücklich nicht im Sinne des „Absolutismus“ oder „Exklusivismus“, wie sie das Sch’ma mit seiner Auslegung gefordert hat.  

[10] Dagegen spricht Stählin davon, dass wir es nicht dazu kommen lassen dürfen, dass wir  es an einer  letzten (sozusagen existentiellen)  Bindung an Gott fehlen lassen und unsere Lebensbereiche als eigengesetzliche keine Verbindung mehr zu  Gott haben. Darin sieht  St. zugleich eine der Christenheit sich stellende politische Aufgabe, die über das dem Einzelnen auferlegte Maß an Selbstkorrektur noch hinausgeht.

[11] So sprach schon  Stählin aaO davon, dass „die Götter“ heute in der „Vielgestalt des Lebens“ beheimatet sind (S. 81).

[12] Wird das von S. zitierte Problem „Hetero-Homo“ in der säkularen Gesellschaft in Deutschland wirklich noch kontrovers diskutiert? Richtig ist aber, dass Homosexualität mit den alten Grundsätzen und Statuten in der Bruderschaft lange Zeit für unvereinbar gehalten wurde. Richtig ist auch, dass Ehe unter Homosexuellen mit dem Recht auf Adoption (von Kindern) für viele Menschen in unserer Republik und insbesondere auch unter vielen konservativen Christen ein großes Problem ist.  Kann es sein, dass an dieser Stelle S. etwas präziser sein müsste? Innerkirchlich sind heute außerdem erhebliche Schwierigkeiten der Gemeinden mit Pfarrern oder Superintendenten zu konstatieren, die offen homosexuell leben und erwarten, dass man auch ihre Lebenspartner im Pfarrhaus akzeptiert. Wie gehen wir mit diesen Gemeindegliedern um, die diese Konsequenz aus der gesellschaftlichen Akzeptanz der Homosexualität nicht zu ziehen bereit sind? 

[13]  „In der Verdrängung [der uns immer wieder beherrschenden Mächte, wie Drogen, Sexualität und Macht]  werden sie zu zerstörerischen Mächten, und wo Gott sie verdrängt, anstatt ihr Haupt zu werden, wird er selber zum Dämon, der nicht läutert, sondern verdammt, nicht aufrichtet, sondern erniedrigt, nicht unser Leben zur Erfüllung bringt, sondern es zerstört.“ (67)

[14]  „Er eint uns mit den verschiedenen Anlagen, die einen jeden von uns kennzeichnen, und er bringt das alles unter ein und dasselbe Dach, und dies Dach, dies Haupt, dieses Zusammenfassen, diese Rekapitulation ist ER.“ (67)

[15] „Der Meister ist der Herr, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Schöpfer und Erhalter und Neuschöpfer des Himmels und der Erde.“  (66)