Aus der Geschichte

 

"Beschwerden über Geistliche und Kirchenbeamte der Erlöserkirche

vom 7. 9. 1932 – 9. 3. 1934"

 

 

Die Kirche in ihrem sozialen Umfeld im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

 

Zum besseren Verständnis der sozialen Verhältnisse jener Zeit im Raum Moabit, also nicht nur bezogen auf die Erlöserkirchengemeinde in ihren damaligen Grenzen, schicke ich folgende Bemerkungen voran:

 

Eine Gesamtdarstellung der Lage der evangelischen Kirche in Moabit ist mir bei innerkirchlichen Recherchen leider nicht bekannt geworden.

 

Moabit galt vor dem 1. Weltkrieg politisch als rot. Die Mehrzahl der Menschen waren Arbeiter und kleine Angestellte, darunter auch viele Geschäftsleute; natürlich gab es auch Beamte, Ärzte, Optiker, Lehrer, Justizangestellte u. ä.

 

Im Gemeindekirchenrat der Erlöserkirchengemeinde waren anscheinend keine Arbeiter vertreten, dafür war die höhere und mittlere Beamtenschaft gegenüber der Wohnbevölkerung überrepräsentiert.

 

Viele Arbeiter-Gruppen Moabits, die für ihre Interessen auf die Straßen gingen, kamen aus der SPD oder verstanden sich als ihre Verbündete. Manche Komitees waren selbstorganisiert oder standen linken Gruppierungen nahe, die sich von der SPD absetzten, gewiß war auch die KPD bis zu ihrem Verbot durch einzelne Kampfzellen dort aktiv, aber ohne besonderen Einfluß auf die Mehrheit der Bevölkerung. Erkenntnisse über das Moabiter Wahlverhalten bei den verschiedenen Wahlen z. B. zum Reichstag liegen mir allerdings nicht vor.

 

Neben klassenbewußtem Arbeiter-„Adel“ gab es viel Kleinbürgertum und viele orientierungslose, insbesondere nach dem 1. Weltkrieg in krasse Armut fallende Bevölkerungsteile, die trotzdem keine „linken“ Positionen vertraten, sondern eher konservativ eingestellt waren, vielleicht auch in Hitler ihre einzige Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lebenssituation sahen. Vor allem in der Zeit der schweren Wirtschaftskrise suchten sie überall nach Hilfe, um ihr Überleben zu sichern. Daher wandten sich viele Menschen wieder an die Kirche und ihre diakonischen Einrichtungen um Hilfe.

Eine „Soziologie“ der Levetzowstraße, in der auch jüdische Familien lebten (die wohl alle bei den hier zusammengestellten Trupps waren, die in die Vernichtungslager deportiert wurden), unweit einer Kohlenhandlung und der erst nach dem 2. Weltkrieg abgerissenen jüdischen Synagoge sowie der Huttenstraße, mit ihren Fabriken und den oft elenden Arbeiter-Wohnquartieren, steht bisher aus.

Zur Erinnerung an diese Tragödie steht heute auf dem Baugrund der Synagoge Ecke Jagowstraße ein Eisenbahnwaggon mit zusammengepreßten Menschenpaketen aus Stein. Wie es heißt, war es nicht einfach, dieses Denkmal der Bevölkerung schmackhaft zu machen, weil der dort vorhandene Spielplatz gegen den Willen vieler Jugendlicher und ihrer Eltern verkleinert werden mußte.

Einige unserer Zeitzeugen haben mir noch vor 10 Jahren darüber berichtet, was für Menschen dort lebten und wie sie mit ihnen auskamen.

Anscheinend gab es in unserem Gemeindebereich (auch ohne den Charlottenburger Teil) eine stark konservative Grundstimmung ohne festes politisches Profil, daher wohl auch für die NS-Ideologie anfällig, auch religiös wenig ausgeprägt (im Gegensatz etwa zur Reformationsgemeinde während der Amtszeit von Pfr. Günther Dehn).

Viele standen in den zwanziger Jahren in einer eher traditionellen Beziehung zur Kirche als einer wichtigen gesellschaftlichen Institution, die vor allem durch ihre Taufen und Konfirmationen in die breite Masse hineinwirkte.

Die Erwachsenenarbeit in der Erlöserkirchengemeinde bestand regulär in einem Frauenkreis und in einer Gruppe von Ehrenamtlichen, zu denen auch die GKR-Mitglieder gehörten. Besondere Veranstaltungen erweiterten das Publikum. Die Kirchengemeinde hatte im Prinzip kein anderes „Klientel“ als andere gesellschaftliche Organisationen auch. Darum war das Einsickern nationalsozialistischer Ideologie in die Gemeindekreise nicht von vornherein zu verhindern.

Zwar gab es noch ein relativ starkes Volkskirchentum, das auch von der Arbeiterschaft – jedenfalls von den Arbeiter-Frauen – bei aller Kirchenferne großenteils durchaus bejaht wurde. Aber da die Mehrzahl der Kirchengemeinden in Moabit offensichtlich mehr in den Kategorien von Zugehörigkeit und Amtshandlungen als in den Kategorien einer (lebenslangen) Glaubenserziehung dachte und die Gemeinden darüber hinaus wegen der Trennung von Kirche und Staat für politisches Handeln kein Mandat besaßen, war ihre Stellung zu den sich abzeichnenden „revolutionären“ Veränderungen alles andere als einfach. An offenen Widerstand war nicht zu denken, wenn schon vorsichtige Kritik an den im Rahmen der „Machtergreifung“ der NSDAP 1933 in der Kirche selbst einsetzenden Veränderungen nur Ärger brachte.

Zwei Frauen, die ich zum 90jährigen Jubiläum besuchte, hatten jüdische Freundinnen und Bekannte, die irgendwann aus ihrem Gesichtskreis verschwanden. Man munkelte manches, aber etwas Genaues über ihren Verbleib wußte man nicht. Ratslosigkeit und Angst darüber, was aus diesen Menschen wurde, waren die Folge, aber kein Widerstand.

Die gemeindeinternen Auseinandersetzungen, in die Pfarrer Walter Streckenbach (Gemeindepfarrer in „Erlöser“ von 1930 - 1952) über einen längeren Zeitraum verwickelt war, veranschaulichen streiflichtartig die schwierige Situation der Kirche in diesem gesellschaftlichen Umfeld.

 

a) Der Streit zwischen Streckenbach und Pohlmann

 

Die Auseinandersetzungen des GKR und speziell von Pfr. Streckenbach mit Heinrich Pohlmann ziehen sich eine ganze Weile hin. Sie beginnen schon vor der Machtübernahme Hitlers.

Ihren Gipfel fanden sie 1934 in der konsistorialen Behandlung der Beschuldigung von Herrn Pohlmann, der damals Gemeindejugendhelfer war und auch andere Dienste in der Gemeinde verrichtete und der behauptete, Streckenbach habe von dem inzwischen eingesetzten Reichsbischof Ludwig Müller als von „diesem Fatzke“ gesprochen.

Gegen diesen Vorwurf, der zur Vorladung in das Konsistorium und zu einer Befragung von Herrn Streckenbach durch Oberkonsistorialrat Gruhl führte, wehrte sich jener mit einer Gegendarstellung, in der er vor allem die Vertrauenswürdigkeit seines Gegners zu erschüttern suchte.

Pohlmann wird als jemand geschildert, der Mitglied der Deutschen Christen war, aber inzwischen aus der „Bewegung“ ausgetreten sei (andererseits in führender Stellung in der „HJ“ = Hitlerjugend und „Pg“ = Parteigenosse) und, weil er aufgrund bestimmter Vorkommnisse, die hier nicht anzuführen sind, seinen Arbeitsplatz in der Gemeinde zu verlieren fürchtete, „die Mitglieder der Deutschen Christen im Gemeindekirchenrat für sich zu gewinnen“ versuche. Pohlmanns Denunziation sollte wohl seine Stellung in der Gemeinde festigen helfen, hatte aber durch die entschlossene Gegenwehr Streckenbachs nicht den gewünschten Erfolg. Andererseits hatte die von Streckenbach betriebene Entlassung Pohlmanns aus dem Arbeitsverhältnis in der Gemeinde ebenfalls keinen Erfolg.

Eine Äußerung Streckenbachs deutet auf ein gespanntes Verhältnis zu Pfr. Konrumpf hin, seinem damaligen Amtsbruder in der Gemeinde, den er offenbar im Verdacht hatte, über das Vorgehen Pohlmanns im voraus informiert gewesen zu sein.

Streckenbach erwähnt in seinem Brief an das Konsistorium, daß Pohlmann gegenüber einer Konfirmanden-Mutter in der NS-Volkswohlfahrt in der Elberfelderstraße geäußert hätte, daß „Pfr. Streckenbach ... demnächst (fliegt)" und daß sie bereits „Ersatz für ihn“ hätten. Dafür zur Rede gestellt, habe Pohlmann Streckenbach geantwortet, daß diese ihm zugeschrieben Äußerung nur von einem „katholischen Mitarbeiter“ der dortigen Geschäftsstelle stammen könne (und also falsch sei?).

Streckenbach vermutet in seinem Schreiben, daß es nationalsozialistische Kreise in der Gemeinde gebe, die seine Entlassung oder Abberufung betrieben.

So weist er auf bereits im Herbst 1933 durchgeführte Werbeaktionen für die Gruppe der Deutschen Christen hin. Auch damals sei bereits von seinem baldigen „Verschwinden“ die Rede gewesen. Dazu kämen entsprechende Eingaben eines ehemaligen Justizinspektors Lange. Dieser müsse ihn inzwischen hassen, weil er sich nicht den Deutschen Christen angeschlossen habe.

Zur Sache gibt allerdings Streckenbach zu, daß er mit bestimmten „Maßnahmen des Herrn Reichsbischofs nicht einverstanden war“ und deswegen auch mit Herrn Pohlmann über seine diesbezüglichen Sorgen gesprochen habe, wenn auch mehr am Rande, da die verschlechterten Beziehungen zu Pohlmann mehr auch gar nicht aus seiner Sicht zuließen.

Tatsächlich kam Pfr. Streckenbach mit einem Verweis von seiten des Konsistoriums davon, da es keine Zeugen gegeben habe und die Vorwürfe somit nicht erwiesen seien. Er wurde aber ermahnt, sich künftig in diesen Dingen Zurückhaltung aufzuerlegen. Eine „disziplinäre Bestrafung“ könne es jedoch nicht geben.

Aufs Ganze gesehen kann man aber die Position gegenüber den nationalsozialistischen Deutschen Christen einerseits und der Bekennenden Kirche bzw. dem Pfarrernotbund andererseits, die von Herrn Pfarrer Streckenbach eingenommen wurde, durchaus als widersprüchlich bezeichnen:

1. scheint es beispielsweise zwischen Herrn Pohlmann und Herrn Streckenbach keinen Gegensatz in Sachen Jugendarbeit gegeben zu haben, „da auch Herr Pfr. Streckenbach ... die Eingliederung der evangelischen Jugend in die HJ nicht nur nicht bekämpft, sondern im Gegenteil schon seit dem vorigen Jahr angestrebt und bereits im August 1933 durchgeführt hat“, wie OKR Gruhl feststellte.

2. beschreibt sich Pfr. Streckenbach selbst als „deutschen Mann“, dessen Gesinnung und Lauterkeit im Sinne nationaler Ehrbegriffe untadelig sei, und seine Verbindung zum Militär als Divisionspfarrer a. D. und Friedens-Reserveoffizier soll ihn offenbar vor dem Vorwurf falscher Gesinnung, den Pohlmann gegen ihn erhebt, schützen.

3. Andererseits kann ihn diese Einstellung anscheinend auch zu übertriebenen Reaktionen veranlassen. Herr Rottke (siehe unter c) 1.) erhebt im Nov. 32 Vorwürfe gegen Pfr. Streckenbach, Vorwürfe des Inhalts, dieser habe nicht nur bedauerlicherweise bestimmte Verhaltensweisen Pohlmanns, gegen die sich Rottke verwahrte, gebilligt, er habe darüber hinaus ihm, Rottke, sogar noch ein „paar Ohrfeigen“ angedroht. Man wird Pfr. Streckenbach nach heutigen Kriterien nicht eben als verständnisvoll gegenüber solcher dem Betreffenden aus seiner Sicht offenbar nicht zustehenden Kritik beurteilen können, sondern eher als autoritär einzuschätzen haben.

4. wird in der kirchengeschichtlichen Literatur verschiedentlich darauf hingewiesen, daß Streckenbach eine Gruppe Berliner Pfarrer repräsentiere, die einen vermittelnden („dritten“) Weg zwischen DC (Deutsche Christen) und BK (Bekennende Kirche) zu gehen versucht habe, und deswegen sogar von Vertretern der BK als Verräter attackiert wurde. Diese Entwicklung muß allerdings erst 1936 und 1937 stattgefunden haben.

 

b) Verlesung einer Erklärung von Streckenbach nach dem Gottesdienst

 

Als Pfr. Streckenbach öffentlich gegen den Herrn Reichsbischof Anfang Januar 1934 polemisierte und ihm das Vertrauen entzog, wurde er allerdings mit Schreiben des Konsistoriums vom 25. 1. 34 disziplinarisch gemaßregelt. Konkrete Konsequenzen sind jedoch unbekannt.

Zuvor war dem Herrn Reichsbischof von der Glaubensbewegung („Glauben“ durchgestrichen) „Deutsche Christen“ über diesen Vorgang Bericht erstattet worden.

Diesen Akten liegt ein handschriftlicher Brief des Vertreters des „Gemeindegruppenleiters“ der Erlösergemeinde an den Gauobmann Pfr. Tausch in Tempelhof bei, wonach Streckenbach den damals überall „bekannten Aufruf des Pfarrernotbundes im Gotteshause“ verlesen habe. Dieser Brief endet mit der Aufforderung an das Konsistorium, nunmehr endlich zu handeln:

Da wir Deutsche Christen nach diesem Vorfall dem Pfr. Streckenbach unser Vertrauen nicht mehr schenken können, bitte ich das ev. Konsistorium, Herrn Pfr. Streckenbach zur Rechenschaft zu ziehen.“

In einer Nachschrift dazu heißt es, gegen die „fortdauernden Entgleisungen“ des Herrn Streckebach müsse das Konsistorium nun endgültig einschreiten. Derartige „Diffamierungen der Deutschen Christen“ seien nicht länger zu ertragen. Befürchtet werde, daß andernfalls die Gemeindegruppe der Deutschen Christen wegen offenkundiger Wirkungslosigkeit „zerfällt“. Die Verächter der „Autorität“ dürfen nicht länger ungeschoren amtieren.

Schluß-Resumé: „Pfr. von einer derartigen Auffassung sind selbstverständlich untragbar. Daher raus mit ihnen. Heil Hitler Lange, Justizinspector i. R.“

 

c) Auseinandersetzungen um soziale Ungerechtigkeiten in der Gemeinde

 

1. So wurde April 32 der von Pohlmann geleiteten „Arbeitsgemeinschaft für Erwerbslose der Erlösergemeinde“ durch Herrn Rottke der Vorwurf gemacht, Honorare für arbeitslose Berufsmusiker anläßlich eines Karfreitagskonzerts unter Leitung von Herrn Kurth entgegen der Verabredung nicht ausgezahlt und sogar die Gestamtabrechung noch nicht vorgelegt zu haben. Außerdem wird ihm Günstlingswirtschaft bei Warenverteilung und anderer Unterstützungsleistungen an die Erwerbslosen vorgeworfen. Man beanstandet, daß man in diesen Dingen zunehmend vom Wohlwollen des Herrn Pohlmann abhängig geworden sei, so daß inzwischen nur dem Unterstützung zuteil werde, „der bei Herrn Pohlmann gut angesehen sei“.

Der Beschwerdeführer wünscht Herrn Pohlmann, einmal ein Dreiviertel-Jahr als Stellungloser zu leben, damit er merkt, wie sich das anfühlt.

Ein Gemeinde-interner Untersuchungs- und Vermittlungsausschuß hat allerdings keinen Grund gesehen, hier von einer Pflichtverletzung zu sprechen, kommt aber dennoch zu dem Schluß, daß Pohlmann „nicht der für unsere Gemeinde geeignete Mann sei“.

2. Zu einer ähnlichen Beschwerde ist es im November 32 sogar gegen Herrn Streckenbach selbst gekommen. Ein Herr Liefke (Schreibweise unleserlich) suchte Herrn Streckenbach auf wegen Gewährung einer Miethilfe, da er kriegsbeschädigt sei und über keinen regelmäßgen Verdienst verfüge und von seiner Frau, die als Reinemachefrau im Krankenhaus Moabit arbeite, ernährt werde. Er bat außerdem um einen Zentner Winterkartoffeln. Streckenbach hörte ihn aber wohl gar nicht an und ließ ihn auch nicht in seine Wohnung. Er habe, so entgegnete ihm Streckenbach, über seine Frau einen auskömmlichen Verdienst und käme daher für die Winterhilfe nicht in Frage. Dazu sollen die Worte gefallen sein, daß in einer Sitzung (des GKR?) beschlossen worden sei, die „unsauberen Elemente“, die „die Kirche aussaugten“, nicht mehr zu berücksichtigen. Dagegen verwahrte sich Liefke. Seine Drohung, er könne ja aus der Kirche austreten, hat Streckenbach in seiner Ablehnung nachträglich noch bestärkt.

Zu Pfarrer Kornrumpf liegt keine Akte vor, gerüchteweise wurde kolportiert, daß er stärker mit den Deutschen Christen und der NS-Ideologie sympathisiert habe, daß er also als Antipode von Pfr. Streckenbach zu gelten habe. In der Beschwerdeakte gibt es jedoch keinen gesonderten Vorgang über ihn.

 

Die Lage der Gemeinde vor 1933

 

Ein differenziertes Bild kann hier nicht gezeichnet werden (siehe den Beitrag von Frau Dr. Müns und das Interview mit Frau Piotrowski). Aus pastoraler Sicht kann wohl nur soviel gesagt werden:

Sie war in jener Zeit offensichtlich stark obrigkeitlich geprägt. Auch innerhalb der Gemeinde gab es eine strenge Hierarchie. Nach dem Pfarrer kommt eigentlich lange nichts. Eine Gemeinde von Brüdern und Schwestern ist hier noch nicht konkret greifbar. Deutschnationale Pastoren scheinen für die Probleme der Menschen an der Basis nicht immer das richtige Gespür gehabt zu haben. Gemeindearbeit ist überwiegend Verwaltungshandeln, Predigtdienst, Unterweisung von Konfirmanden sowie Amtshandlungen. Die Gemeindeglieder sind in dieser Perspektive vornehmlich als Objekte gesehen worden, die immer etwas brauchen und die Kirche in erster Linie als Sozialagentur ansehen, soweit sie nicht nur stille Gottesdienstbesucher waren.

Andererseits zeigt gerade das Verhalten von Pfr. Streckenbach eine gegenüber der allmählichen Unterwanderung der Kirche durch deutschchristlich eingestellte Menschen schon frühzeitig einsetzende Abwehrbereitschaft, die in der Gemeinde jedoch mehr toleriert als aktiv unterstützt wurde. Dabei ist Pfarrer Streckenbach durch seinen späteren Kurs offenbar mehr oder weniger zwischen die eigentlichen kirchenpolitischen Fronten in der evangelischen Kirche (DC und BK) geraten. Dennoch verdient sein entschiedenes Handeln gegen das Deutschchristentum in der Anfangszeit allen Respekt. Die Überführung der evangelischen Gemeindejugend in die HJ war allerdings ein strategischer Fehler. Ob er sich auch dieser Entwicklung konsequenterweise hätte entgegenstellen müssen und warum das nicht geschah, ist mir nicht bekannt. Vielleicht befürwortete der GKR diese beschleunigte Umwandlung.

 

Wolfgang Massalsky

 

 

Spätcafé“ und „Laib und Seele“ – unsere sozialen Projekte in der Erlöserkirchengemeinde

 

Im Herbst 1997 beteiligte sich die Erlöserkirchengemeinde erstmals an dem regionalen ökumenischen Spätcaféprojekt, das ursprünglich von der Heilandskirchengemeinde initiiert wurde.

Die Idee ging davon aus, dass an möglichst jedem Wochentag eine Kirchengemeinde in der Region Tiergarten/Moabit von 17 – 21 Uhr eine Art Wärmestube für Obdachlose und andere Bedürftige anbieten sollte. Für die Verpflegung gab es Zuschüsse vom Bezirksamt im Rahmen der Kältehilfe von November bis Ende März.

Alle sieben Tage konnten in den 13 Jahren des Spätcafébetriebs nur sehr kurzzeitig abgedeckt werden. Aber nach wie vor sind 5 Tage in der Woche durch die Moabiter Gemeinden – evangelische und katholische – abgedeckt.

Die Erlösergemeinde legte sich von Anfang an auf den Sonnabend fest. Da andere Obdachloseneinrichtungen gerade samstags geschlossen sind, war mit einem großen Bedarf zu rechnen. Nach der Anlaufphase kamen denn auch mehr als 50 Personen, hauptsächlich Männer. In diesem Winter waren es zwischen 70 und 90 pro Öffnungstag.

Alle erhalten kostenlos Kaffee oder Tee, soviel sie wollen. Darüber hinaus gibt es Suppen (meist aus der „Kiezküche“ in der Rathenowerstr.) und leckeres warmes Essen aus einem Seniorenheim an der Bundesallee, zeitweilig auch Backwaren aus einer Bäckerei in Alt Moabit. Fisch, Fleisch und gutes Gemüse sind dabei häufig auf dem Speiseplan, oft auch ein schönes Stück Kuchen zum Nachtisch.

Nicht vergessen sei übrigens, daß wir vor der Trennung von unserem Jugendhaus sogar noch eine ganze Weile einen zweiten Ausgabe-Ort besaßen, den Frau Lehmann-Römling mit einigen Helfern betreute und der immer freitags geschmierte Brote u. a. anbot.

Das Ganze ist natürlich nur möglich durch einen Pool von Ehrenamtlichen, die bereit sind, samstagnachmittags in der Spätcaféküche zu arbeiten, d.h. die Speisen aufzuwärmen, auszugeben und nachher auch wieder alles abzuwaschen. Manche der Ehrenamtlichen kommen den Winter über jede Woche, manche machen 1mal im Monat oder alle zwei Monate diesen Dienst. Jede Woche arbeiten etwa 4-5 Helfer mit.

Alle sind uns herzlich willkommen und wir danken jedem einzelnen für diese wichtige Arbeit.

Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang unsere Kleiderkammer, die wir auf der ungenutzten Seitenempore eingerichtet haben. Gerade für die Spätcafébesucher im Winter bietet die Kleiderkammer eine Möglichkeit, unkompliziert und schnell an warme Kleidungsstücke zu kommen. Wir danken den Gemeindegliedern für ihre Kleiderspenden und Frau Babbel für die gute Betreuung der Kleiderkammer.

Und last but not least: herzlichen Dank an Pfarrer Massalsky, der 3-4 mal pro Woche all die leckeren Speisen besorgt, die unser Spätcafé so attraktiv machen!

 

Laib und Seele“

Das Laib und Seele-Projekt wurde 2006 von der „Berliner Tafel“ in Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden und dem rbb ins Leben gerufen. Viele erkannten, daß die rapide Verschlechterung der Lebensverhältnisse vieler sozial schwach aufgestellter Menschen nach zusätzlichen Hilfsangeboten verlangt, inbsbesondere die Hartz IV-Regelung ließ die Schlangen vor den Suppenküchen immer länger werden.

Dieses Projekt geht dabei davon aus, dass sowohl die „Tafel“ als auch die beteiligten Gemeinden selber nicht verbrauchte Lebensmittel aus den Supermärkten abholen und an Arbeitslose und bedürftige Rentner verteilen. Inzwischen beteiligen sich etwa 40 Gemeinden berlinweit an diesem Projekt.

Im Gegensatz zum Spätcafé läuft es das ganze Jahr über, jeden Donnerstag mit Ausnahme von Feiertagen. Wir haben einen Stamm von etwa 20 ehrenamtlichen Helfern für „Laib und Seele“, von denen jeweils ca. 14-15 pro Woche da sind. Wichtig sind auch die Fahrer, die mit privatem PKW oder mit dem Gemeindebus verschiedene Läden anfahren und vor allem auch Waren aus dem Lager der „Berliner Tafel“ selbst abholen. Die Zusammenarbeit funktioniert erstaunlich gut und reibungslos.

In unsere Ausgabestelle kommen jede Woche Menschen aus ca. 100 Haushalten, d.h. wir versorgen insgesamt etwa 130 Erwachsene und 30 Kinder aus ganz Moabit. Leider können wir auch nur ausgeben, was wir haben, und das ist manchmal nicht soviel, wie man gerne hätte.

Wir danken auch den Ehrenamtlichen aus „Laib und Seele“ für ihre meist sehr regelmäßige Mitarbeit beim Vorbereiten der Waren und bei der Warenausgabe.

Die Erlösergemeinde ist die einzige „Laib und Seele-Gemeinde“ in Moabit, und dieses Projekt hat die Gemeinde, ebenso wie das Spätcafé, sehr geprägt.

 

Edda Straakholder

 

Herzlicher Dank besonders auch an Edda Straakholder selbst, ohne deren Entschlossenheit und regelmäßige Mitarbeit die Gemeinde diese sozialdiakonische Arbeit nicht aufgenommen und bewältigt hätte.

W. M.

   Bitte korrigieren! Verfasserin des Textes ist E. S. (abgesehen von der Schlußzeile)!