16. n. Tr.

16. Sonntag nach Trinitatis

Hebräerbrief 10, 35. 36. 39

(am 15. 9. 2002)

Werft euer Vertrauen nicht weg!

"Werfet euer Vertrauen nicht weg!" So hat Luther den ersten Satz (V. 35) übersetzt. Der Verfasser dieses Briefes möchte gegen Ende des 1. Jahrhunderts den "hebräischen" Christen Mut machen, am Glauben festzuhalten. Offensichtlich leidet die christliche Gemeinde an vielen Orten unter seltsamen Ermüdungserscheinungen. Wahrscheinlich haben sie damit zu tun, dass entgegen der bisherigen Hoffnung Christus noch nicht wiedergekommen ist, dass das Warten auf die Parusie Jesu für jene Christen immer mehr seine Plausibilität zu verlieren beginnt, wie wir heute zu sagen pflegen. Aber ein Glaube, der sein zukünftiges Ziel aus den Augen verliert, der verliert langfristig auch seinen Inhalt, nämlich seinen in der Zukunft verborgenen Grund, der allein in Kreuz und Auferstehung Jesu gegenwärtig ist.

Vor etlichen Jahren hielt man es für einen tollen Einfall, aus Nietzsches spöttischer Rede vom "Tode" Gottes eine "Theologie nach dem Tode Gottes" zu machen und die metaphysische Rede von Gott als die theologische Ausdrucksform einer vergangenen Epoche zu diffamieren, um in der modernen Kommunikationsgesellschaft nicht ganz alt auszusehen. Atheistisch an "Gott" zu glauben, das war "in". Dass in der Alltags-Sprache theologische Gedanken schwer vermittelbar sind, bedeutet jedoch nicht, Theologie in ethisch-politischen Diskurs oder esoterisch in positive Lebensfreude zu übersetzen. Das Ergebnis wäre eine total subjektivistische Theologie, eine Theologie, der das Heil in Jesus Christus nichts anderes mehr bedeutet als ein Sprach- und Übersetzungsproblem für die eigene Wohlfühl-Thematik.

Dass die heidnische wie auch die jüdische Umwelt gegenüber der christlichen Botschaft damals recht abweisend reagiert hat; dass in den eigenen Reihen die Unzufriedenheit mit dem alten Christus-Glauben gewachsen war; dass die Alten eine gewisse Resignation beschlichen hatte, einzelne den christlichen Gemeinden wohl auch den Rücken kehrten und sich interessanteren Kulten zuwendeten, das nahm der Verfasser des Hebr.-Briefes nicht zum Anlass über modernere kommunikationsfreundlichere Glaubensformen nachzudenken, sondern an die Gemeindeglieder zu appellieren, zum ursprünglichen Glauben zurückzukehren, seine Verheißungen nicht aufzugeben, weil in ihm ein Hoffnungspotential steckt, das es immer wieder neu zu entdecken und auszuschöpfen gilt. Natürlich kann der eine oder andere inzwischen sogar die Erfahrung gemacht haben, wegen seines Glaubens von der Umwelt verfolgt zu sein. Ein schwächelnder Glaube wird sich allerdings immer von der Welt verfolgt fühlen. Dieses Gefühl kann aber auch in der eigenen Unsicherheit, in dem fehlenden Zutrauen zur Kraft des eigenen Glaubens begründet sein.

Wenn in diesem Zusammenhang von "Geduld" die Rede ist (V. 36), so bedeutet dies freilich nicht, alles aushalten zu sollen, was der Gemeinde an Gemeinheiten von der Außenwelt (damals wie heute) oft zugemutet wird. Denn dann wird einem oft noch mehr zugemutet ... Der Begriff Geduld darf aber auch nicht von Frustration und Resignation angekränkelt sein. Geduld und Glauben stehen im Hebräerbrief auf derselben Ebene. Geduld ist dabei die der Welt zugewandte Seite des Glaubens und speist sich aus der Erwartung des Kommens Christi, mehr noch aus dem sicheren Wissen darüber, dass Geduld und Ausdauer bis zum Ende im Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens (in der Gesellschaft oder bei Krankheit usw.) von Gott belohnt (V. 35) werden. Gewiss gibt es auch für den Verfasser des Hebräerbriefs die Möglichkeit nach neuen Wegen zu suchen, wie die Zukunft im Glauben am besten festgehalten wird. Er spricht auffälliger Weise im allgemeinen viel weniger christologisch von der den Christen zuteil gewordenen Hoffnung als es in unserer Perikope den Anschein hat (V. 37 vgl. 29). Doch wie immer das Sichhinauszögern der Wiederkunft Christi erklärt und seelsorgerlich aufgefangen werden mag: wenn sie bisher noch nicht eingetreten ist, so bedeutet das jedenfalls nicht, diese Erwartung aufzugeben oder den Glauben ganz wegzuwerfen. Nicht der überkommene und ererbte Glaube ist daran schuld, dass wir die Wirklichkeit nicht so sehen können wie sie ist, sondern eher ist unsere Glaubens-Ungeduld daran schuld, dass wir der Wirklichkeit nicht mit der gebotenen Distanz und Zurückhaltung begegnen. Dabei muss uns doch immer klar sein, dass wir niemals erzwingen dürfen, was allein Gottes Sache ist.

An der Veränderung irdischer Machtverhältnisse mitzuwirken ist das gute Recht von Christen, doch hängt von ihr unsere Seligkeit nicht ab (vgl. V. 39). Und wenn es nicht gelingt sie zu verändern, geht die Welt auch nicht unter. Es ist allein Gottes Sache, zu entscheiden, wann es soweit ist, denn für Jesus hat allein Gott die Macht, die Stunde seines Kommens festzulegen. Gott verbindet sein Kommen weder mit dieser noch mit jener Partei, aber den Entrechteten, den Friedfertigen, den Hungernden steht er überall auf der Welt nahe. Nur solcher auf die Verheißungen Gottes zurückgreifende und sie festhaltende Glaube kann die Reife der Geduld erlangen, auf die es heute ankommt, anstatt sich von der Hektik von Glaubensmanagern anstecken zu lassen, die mit immer neuen Rezepten meinen der Gemeinde (gegen viel Geld) einen guten Rat geben zu müssen, wie sie in dieser Welt ihre Attraktivität behält.

Pfarrer Massalsky, 14. 9. 2002