19. n. Tr.

Über die Heilkraft des Gebets

Eine Betrachtung über Jakobus 5, 13-16

Dieser Text dürfte im allgemeinen den Katholiken mehr am Herzen liegen als uns evangelischen Christen, glaubte man doch früher, hier wäre ein Beleg zu finden für das römische Sterbesakrament der letzten Ölung, heute schlicht Krankensalbung genannt.

Unser Text schildert, dass „die Ältesten der Gemeinde“ den Kranken salbten und mit dieser unter Gebet vollzogenen Handlung die Vergebung etwaiger Sünden verbunden war. Bekanntlich hat Luther  in seiner Schrift „Über die babylonische Gefangenschaft der Kirche“ von 1520 wohl als erster grundsätzlich bestritten, dass die von den Ältesten hier vorgenommene Handlung als „Sakrament“ zu bezeichnen sei.

Luther war der Meinung, ein Sakrament müsse von Christus selbst eingesetzt sein, wie das nur bei Taufe, Buße und Abendmahl der Fall sei. Er sprach im Blick auf dieses und ähnliche Ereignisse (vgl. Mk 6, 3) lediglich von einem „Brauch der Urkirche“, der inzwischen nicht mehr ausgeübt werde.

Außerdem gehe es ja in unserem Text offensichtlich um Heilung, während das von Luther abgelehnte Sakrament der letzten Ölung zu seiner Zeit als Sterbehilfe gespendet wurde. Mit der Ablehnung dieses Sakraments als nicht schriftgemäß im Sinne Luthers ist eine wichtige (negative) Vorentscheidung über diesen Text und seine Auslegung gefallen.

Doch auch wenn eine Krankensalbung als sakramentale Handlung aus unserem Text nicht zu entnehmen ist, so sollte doch das Gebet am Krankenbett als ganzheitliches Geschehen verstanden werden: kein isoliertes Tun eines Seelsorgers ohne Gemeindebezug, sondern Einbindung des kranken Menschen in seine Gemeinde.

Was positiv nach diesem Text aus dem Jakobusbrief (auf evangelischer Seite) von uns als Älteste und hier doch offenbar von jedem ernsthaften, zur Gemeindeleitung berufenen Mitchristen einschließlich der Pfarrer am Krankenbett erwartet werden darf und erwartet werden muß, das ist das Gebet, die Fürbitte, die gläubige Zuwendung zum leidenden Menschen. Gemeint ist ein Gebet in durchaus therapeutischer Absicht. Vielleicht muß man mit dem Theologen M. Dibelius wegen der Anrufung des göttlichen Namens sogar von einem Exorzismus sprechen. Das mag in der Annahme eines dämonischen Ursprungs bes. schwerer oder gar unheilbarer Krankheiten geschehen. Die in den Versen 15b und 16a hergestellte Verbindung von Sündenbekenntnis bzw. Sündenvergebung mit Heilung könnte ein weiteres Indiz dafür sein.

Zumindest ist das Gebet um Heilung keine bloße Privatangelegenheit, sondern Anliegen der ganzen Gemeinde, die in der Person ihrer Presbyter (Ältesten) hier zugegen ist. Dagegen halte ich die Annahme für abwegig, dass ihrem Gebet aufgrund ihrer besonderen Stellung als Presbyter größere Heilchancen eingeräumt werden. Immerhin kann das „Gebet eines Gerechten“ sich als sehr wirkungsvoll erweisen, wie es in V. 16b mit Bezug auf das Gebet des Elia heißt. Dabei ist daran gedacht, dass auch ihr auf die Heilung des Kranken zielendes Gebet auf der einen und Gottes helfende Tat auf der anderen Seite eine Einheit bilden (V. 15a).

Zur Unterstützung des Heilvorganges, den das Gebet einleitete, konnte ursprünglich „Salböl“ verwendet werden. Wir müssten Salböl in dieser Verwendung nicht grundsätzlich ablehnen, wenn es nicht die falsche Bedeutung eines sakramentalen Elementes bekommen hätte, sondern als Heilmittel neben anderen verabreicht und verstanden worden wäre,  vielleicht mit besonderer symbolischer Bedeutung. Ich persönlich will nicht bestreiten: Wenn jemand mit mir während einer (schweren) Krankheit beten und meinen Körper an bestimmten Stellen – sagen wir Kopf, Brust und Hände – mit Salböl bestreichen würde, so könnte das eine sehr wichtige Handlung für mich werden, wichtiger als so manches, was Ärzte und andere liebe und besorgte Menschen an mir und meinem Körper sonst noch anstellen würden. Aber ein Allheilmittel ist Salböl gewiß nicht, mag es auch die Grundlage für manch andere Medizin darstellen. Wir können und müssen je nach Krankheit auch ganz andere Heilmittel einsetzen und tun das ja auch.

Trotzdem – und das würde ich mehr im Hinblick auf die Erfolgschancen menschlicher Heilkunst sagen: Wir stellen oft fest, dass vieles, was Ärzte unternehmen, sogar manchmal die besten Medikamente, die sie verschreiben, nicht helfen, einen Menschen zu heilen. Nicht nur bei unheilbar Kranken ist das so; auch bei scheinbar bloß eingebildeten Krankheiten, die gar keine körperlichen Ursachen haben.  

Zu welch schlimmen Krankheiten können sich Ängste auswachsen, wenn sie zum Dauerzustand werden. Und wie viele Menschen leben denn nicht schon in dieser Grauzone zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Wohlgefühl und Unwohlsein? Hier helfen oft die besten Ratschläge nicht. Freunde können daran nichts ändern, Ärzte oft ebenso wenig. Manchmal verschlimmern sie nur alles mit ihrer gelegentlich allzu leichtfertigen Verschreibung von Pillen und Säften. Gute Medizin mag ja beruhigen, aber immer helfen?

Woran kranken wir Menschen denn wirklich? Daran, dass wir nicht genug Freunde haben, die es ehrlich mit uns meinen? Gewiß fehlt es oft an solchen Menschen. Einsamkeit und Sorge machen uns viel zu schaffen. Ein offenes Wort an einen Menschen, dem ich vertrauen kann, würde mich schon sehr erleichtern.

Aber die Diagnose über die Ursache vor allem der vielen seelischen Krankheiten muß wohl tiefer ansetzen!

Ich meine, unser gestörtes Verhältnis zu Gott macht viele von uns innerlich kaputt. Bibellesen und Gebet, was früher eine regelmäßige häusliche Übung war, heute kommt kaum einer noch so richtig dazu.

Daß wir nicht mehr beten, wenn wir uns unwohl fühlen, nicht mehr Gottes Wort und Weisung erbitten, wenn die ersten Anzeichen einer Krankheit sichtbar werden und andererseits Gott nicht mehr loben und danken wollen für das Gute, das er uns in unserem Leben immer wieder schenkt, – so wie es unser Text doch voraussetzt – ist oft genug die eigentliche Ursache vieler Erkrankungen.

Aber wo sind die Leute, die so in ihrem Leben durch uns Christen beten gelernt hätten? Wo sind die Menschen, die zeigen, welche heilende Kraft im Gebet wirksam ist?

Das Gebet ist keine Flucht aus der Wirklichkeit der Krankheit in das Wunschdenken strahlender Gesundheit, wie viele meinen.

Es ist die Annahme meiner Angewiesenheit auf Gott, um als Mensch in aller Schwachheit leben zu können. Bei Gott und allein bei Gott ist Rettung, die mehr ist als körperliches Wohlbehagen und psychische Ausgeglichenheit. Das „Gebet des Glaubens“ richtet sich ja auf den, der auf sich nahm unsere Krankheit und trug unsere Schmerzen, der unsere Schuld auf sich lud. Aber können wir Krankheit als Reifezeit des Glaubens annehmen?

Für den Verfasser des Jakobusbriefes ist Gesundheit freilich nicht das allerhöchste Lebensgut. Wichtiger ist ihm, dass wir Gott an uns zu unserem Heil wirken lassen, dass wir unser Leben ihm anvertrauen, damit er aus uns das machen kann, wozu er uns bestimmt: zu seinen Geschöpfen, die voller Liebe und Dankbarkeit an andere weitergeben, was er Gutes an ihnen vollbracht hat.

Pfarrer W. Massalsky,

erstmalig vorgetragen im Pfarrkonvent

des Kirchenkreises Schöneberg,

Oktober 1982