4. n. Tr.

4. Sonntag nach Trinitatis:

Römerbrief 12, 17-21

(23. 6. 2002)

Allezeit sollen Christen nach der Regel leben: Lasst euch nicht überwinden vom Bösen, sondern überwindet das Böse mit Gutem!

Wie soll die Gemeinde leben? Nach welcher Regel? Jesus hat ihr das Doppelgebot der Liebe eingeprägt: Zuerst kommt die Liebe zu Gott und dann die Liebe zum Nächsten! Diese Forderung scheint im wesentlichen eine Übernahme der Grundregel der jüdischen Gemeinde darzustellen, soweit sie sich diese Forderung der Bibel zueigen gemacht hat. Christen haben in diesem Sinne keine andere Lebens-Regel. In bezug auf dieses Prinzip gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Christen.

Allerdings ließ seine Anwendung im Alltag sicher viel zu wünschen übrig. Aber Reibereien müssen noch nicht die Form offener Feindschaft haben. Nur wenn sich die latenten Glaubensstreitigkeiten zu echten Bösartigkeiten steigern, kann aus einem relativ friedlichen Einander-in-Ruhe-lassen ein offenes Gegeneinander werden. Da das Verhältnis von Juden und Christen allerdings von Anfang an belastet war durch ihre unterschiedliche Stellung zum Gesetz (Thora), war es für die staatlichen Machthaber in der Regel ein Leichtes, durch herbeigeredete oder inszenierte Vorkommnisse, beide Seiten gegeneinander in Harnisch zu bringen. So wurde es Juden wie Christen häufig schwer gemacht, einander zu lieben, obwohl das Gebot Jesu und die Gebote der Heiligen Schrift sie dazu verpflichteten. Doch wie sollten sich normale und entspannte Beziehungen entwickeln, wenn die Christen von Christus her die Bibel mit ganz anderen Augen lasen als die auf das Gesetz vereidigten Juden?

Gewiss wurde der Glaubensstreit zwischen Juden und Christen zunächst nur wie ein Familienstreit zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern aufgefasst und stellte ihr Zusammenleben unter einem Dach prinzipiell nicht in Frage. Denn so wie Jesus bis zuletzt bewusst Jude war, wollten auch seine Jünger mit ihrem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias der Endzeit keinesfalls ihr Judesein leugnen oder gar aufgeben. Bei aller Vorsicht im Umgang miteinander und trotz erster Anzeichen von Abgrenzung, war doch am Anfang eher Solidarität als Feindschaft zwischen Juden und Christen angesagt, und das nicht nur aus praktischen Gründen. So spannungsvoll ihre Beziehungen zweifellos waren, gab es jedenfalls für die Christen in den ersten Jahren nach dem Tod Jesu keinen zwingenden Grund, die ererbte Glaubensgemeinschaft mit ihren jüdischen Brüdern (und Schwestern) für beendet zu erklären, da ja Christus für sie die Erfüllung der im Alten Testament stehenden Verheißungen und Zusagen Gottes war und keineswegs deren Gültigkeit aufhob.

Das änderte sich für die jüdische Seite erst mit der Heidenmission des Apostels Paulus. Denn nun zeigte sich, dass das Gesetz für das Leben der Christen anders als für die gesetzestreuen Juden grundsätzlich eher von marginaler Bedeutung ist, weil sich christlicherseits das theologische Schwergewicht in der Gottesbeziehung auf Kreuz und Auferstehung Jesu und in der Ethik vom Gesetz auf die Frage der Sünde verlagerte.

Seitdem ging es in der Welt-Mission weniger um das für Juden entscheidende Heils-Mittel des Gesetzes, als vielmehr um den Gegenstand des Glaubens, nämlich Gott, sowie um die von Gott trennende Sünde und die Versöhnung mit Gott in Christus, aber auch um das Leben der Christen, welches ihnen im Glauben an Jesus Christus aufgetragen und durch die Kraft des Heiligen Geistes verheißen ist.

Was das Leben der Christen in heidnischer Umwelt angeht, so lautet die erste Forderung an sie, dass sie es auch den Menschen aus ihrer heidnischen Umwelt nicht an der natürlichen Achtung und Liebe fehlen lassen dürfen. Darum heißt es: "Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann." (V. 17) Darüber hinaus werden sie zur Friedensfähigkeit ermahnt: "Habt (soviel an euch liegt) mit allen Menschen Frieden!" (V. 18)

Die zweite Forderung lautet: Eine negative (oder gar feindselige) Reaktion seitens der heidnischen Umwelt gegenüber der christlichen Missionspredigt kann und darf nicht automatisch zur Abschottung gegenüber dieser Umwelt führen, wozu die jüdische Gemeinde allerdings immer schon aus Reinheitsgründen neigte.

Im Gegenteil sollte die mögliche Feindschaft der Umwelt gegenüber Christen nicht durch Abwendung der Christen von ihrer Umwelt oder gar mit Hass beantwortet werden, sondern durch die Verstärkung einer liebevollen oder zumindest freundschaftlichen Bemühung um sie, um sie vielleicht auf diese Weise langfristig für die Christus-Botschaft aufzuschließen.

Dabei konnte es aus zwei Gründen zu einer stärkeren organisatorischen Betonung der Eigenständigkeit der Christen gegenüber Juden kommen: Erstens um nicht mit den übrigen Juden gleichgesetzt und verwechselt zu werden und zweitens um herauszustellen, dass beide jüdischen "Richtungen" (wobei hier auch die Christen noch als eine jüdische Richtung verstanden werden), die für die Außenwelt noch recht lange weitgehend identisch waren, differenziert zu betrachten sind, weil Christen aus erfahrener Ablehnung von seiten ihrer Umwelt andere Konsequenzen gezogen haben als Juden.

In solchen Leidenszeiten sollten und wollten sich jedenfalls Christen nicht auf dasselbe Niveau begeben wie ihre Gegner und das erlittene Unrecht ihnen nicht umgehend heimzahlen. Sie sollten es vielmehr der ausgleichenden Gerechtigkeit Gottes (V. 19), dem "Zorn Gottes", wie Paulus sagt, überlassen, sie zu rächen. Denn wenn Jesus im Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25) behauptet hatte, dass wir Christen im jüngsten Gericht nach unseren Barmherzigkeits-Taten gerichtet werden, so meinte Paulus, die Christen zu Rom darauf hinweisen zu müssen, dass allein solche Taten - und nur diese sind etwas Gutes - auch Feindschaft überwinden können. "Feurige Kohlen" würden dadurch auf das Haupt des Feindes gesammelt werden (V. 20), d.h. es wird ihm in seinem Gewissen ganz heiß werden vor Schamröte.

Daher kann die abschließende Devise für das Leben des einzelnen Christen in dieser Welt nach Paulus nur so lauten: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." (V. 21)

Pfarrer Massalsky, 17. 6. 2002